Seelenangst
und ungefährlicher zu scheinen, als es in Wahrheit ist, damit es umso wirkungsvoller sein Vernichtungswerk fortführen kann?
Es ist ein Fehler, die andere Wange hinzuhalten und sich den Mächten der Finsternis kampflos zu ergeben. Es ist ein Fehler, von einer besseren Welt im Jenseits zu fabulieren, ohne das Schicksal in die eigene Hand zu nehmen.
Darum musste ich tun, was Jesus gepredigt hat. Ich musste dafür sorgen, dass manche Sünder nun am Grund des Meeres liegen, mit einem Mühlstein um den Hals.
Ich war Exorzist. Ich habe Tausende böser Geister ausgetrieben. Doch es reicht nicht, den Dämon nur bei einzelnen Menschen auszutreiben. Man musste den Exorzismus ganzheitlich sehen. Den Exorzismus am Körper des gesamten Menschengeschlechts. Den Exorzismus am Körper der Welt. Man muss das Böse mit brennender Klinge aus dem Fleisch der Erde schneiden, immer wieder, bis es ausgerottet ist.
»Weichet von mir, ihr Verfluchten«, hat Jesus gesprochen, »in das ewige Feuer, das für den Satan und seine Vasallen bestimmt ist.« Denn wer ohne Beichte im Stand der Todsünde stirbt, ist für immer verloren – und nichts anderes hat er verdient.
Das gilt nun auch für mich. Deshalb werde ich in den Flammen der Hölle brennen, nachdem meine irdische Hülle verbrannt ist.
Ich habe sie alle töten lassen. Gayo und Venturas waren nur die Letzten in einer langen Reihe. Ohne die Möglichkeit der Erlösung, der Beichte und der Lossprechung, im Stand der Todsünde.
Denn es reicht nicht, dass sie nur auf dieser Welt Schmerz erleiden für das, was sie getan haben. Es reicht nicht, dass sie sterben. Ihre Schuld wiegt so schwer, dass die Strafe für immer andauern muss. Für immer und ewig.
Sie mussten sterben. Den ersten und den zweiten Tod.
Sie mussten büßen, sie mussten leiden, sie mussten brennen. Für immer. Und immer.
Nun wurde meine Mission entdeckt. Einer der tüchtigsten Vasallen, die mir gedient haben, ohne es zu wissen, der Drache, ist tot. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Polizei an meine Tür klopft. Deshalb werde ich gehen, bevor ich mir die Schmach und Schande antue, mit den weltlichen Gesetzen und irdischen Ordnungshütern über meine heilige Mission zu streiten, mit ihnen, die nur den Schutz der Täter und des Bösen im Sinn haben.
Ich habe versagt. Meine Mission ist beendet. Und ich habe es verdient, in der Hölle zu brennen, nachdem meine leibliche Hülle hier auf Erden vom Feuer verzehrt wurde. Doch vertraue ich der Gnade Gottes, dass er mich den reinigenden Flammen des Purgatoriums übergibt, damit meine Seele, nach Jahrhunderten, geläutert die himmlische Herrlichkeit schauen kann.
Mein Herr und Hirte, der Heilige Vater und Bischof von Rom, meine Herren Kollegen, Eminenzen, Priester und Diakone. Ich stelle euch allen frei, in Zweifel zu ziehen, was ich getan habe. Es sogar zu verurteilen. Ich bitte euch nur um das bisschen Aufmerksamkeit für meine hehren Ziele und meine reinen Gedanken, ohne die kein Verstehen möglich ist.
Jetzt, bevor ich die Flammen entzünde, sind meine Gedanken und Gebete bei euch. Und ich hoffe, dass wir uns wiedersehen.
Dort, im anderen Leben.
Gott segne euch.
Don Alvaro de la Torrez
Priester und oberster Exorzist der Diözese Rom
Clara blinzelte mit halb zusammengekniffenen Augen in die Sonne. Der Inhalt des Briefes hatte sie getroffen wie ein Hammerschlag. Sie dachte an den Augenblick, an dem sie genau hier mit Don Alvaro gestanden hatte, bevor sie in den Helikopter gestiegen war, der sie zu dem höllischen Tatort gebracht hatte, an dem Isabel Venturas auf so grausame Weise gestorben war.
Don Alvaro de la Torrez, Priester und oberster Exorzist der Diözese Rom, war der wahre Drache gewesen. Als Clara und MacDeath sich erneut bei ihm angekündigt hatten, hatte er gewusst, dass er aufgeflogen war. Möglicherweise hatte er zuvor auch schon vom Tod des Drachen erfahren. In diesem Moment war ihm klar geworden, dass seine Mission gescheitert war. Und welche bitteren, in seinem fanatischen Hass auf das Böse jedoch folgerichtigen Konsequenzen er daraus gezogen hatte, ging nur allzu deutlich aus seinem Abschiedsbrief hervor.
In einer kurzen Vision sah Clara den alten Priester vor sich, der so freundlich und gütig, aber auch herrisch und unerbittlich hatte sein können. Sie sah sein Gesicht vor dem Bild des vom Schwert durchbohrten Körpers von Franco Gayo, vor dem Bild seiner Sekretärin, die mit der Axt erschlagen worden war; sie sah Tom, Gayos Manager, den man
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