Seelenangst
dass der Teufel nicht auf Erden wirkt?«
Tomasso betrachtete das Foto mit einer Mischung aus Abscheu und Verwunderung, während Alvaro fortfuhr.
»Das Foto kommt von der Questura, der Polizeipräsident hat es mir gegeben. Die Täter haben das Mädchen in eine der Katakomben entführt, sie vergewaltigt und zum Oralverkehr gezwungen, nachdem sie ihr sämtliche Zähne ausgerissen hatten. Und dann haben sie ihr das umgedrehte Pentagramm mit einem Messer in den Bauch geschnitten.«
Tomasso ließ das Foto sinken. »Wo ist sie jetzt?«
»Tot«, sagte Alvaro. »Sie haben sie gefesselt, ihr den Mund zugenäht und sie dort liegen gelassen. Und sie haben das hier getan.« Er zeigte Tomasso ein zweites Foto, auf dem eine Wand zu sehen war, auf die mit Kreide etwas geschrieben stand. Tomasso las den Satz laut vor: »Wenn es dich gibt, Jesus, dann rette sie doch …« Er gab Alvaro die Fotos zurück, während er den leeren Pappbecher in einen Mülleimer nahe dem Eingang der Dachterrasse warf.
»Geschändet, getötet und den Herrn verspottet«, sagte Alvaro voller Bitterkeit.
Die beiden Geistlichen standen eine Zeit lang schweigend wie schwarz gekleidete Statuen auf der windumtosten Terrasse über den Dächern Roms.
Tomasso dachte an seine Überlegungen von vorhin, als er die Piazza Navona überquert hatte, an die Frage der Toleranz Gottes dem Bösen gegenüber. Vielleicht lag es daran, dass Gott als Schöpfer des Alls auch der Schöpfer des Bösen sein musste. Wie hieß es bei Jesaja? Ich bin der Herr, der das Licht macht und die Finsternis, ich gebe den Frieden und ich schaffe das Böse.
»Gehen wir hinein«, sagte er schließlich mit Blick auf die drohenden Gewitterwolken, die sich von Westen her immer näher schoben, und legte dem alten Exorzisten den Arm um die Schultern. »Ein Sturm zieht auf.«
»Ich weiß«, sagte Alvaro, zerknüllte seinen Pappbecher und warf ihn in den Mülleimer. »Ich weiß.«
14
Clara saß in einem der Einsatzwagen, die mit Blaulicht und Sirene den Mehringdamm Richtung Friedrichstraße hinaufrasten. In aller Eile hatte sie Informationen über Franco Gayo aus dem Internet geladen. Nun huschte ihr Blick über den Ausdruck, den sie davon gemacht hatte, während die Einsatzwagen sich durch den Feierabendverkehr wühlten.
Franco Gayo war in einer renommierten Anwaltskanzlei ein hohes Tier gewesen, ehe er seinen wohltätigen Verein Do ut des ins Leben gerufen hatte, der ziemlich marktschreierisch an das schlechte Gewissen der Menschen appellierte, was manche Pressevertreter aber nicht daran hinderte, Gayo zum »guten Gewissen Deutschlands« hochzustilisieren.
Und nun war er einem Mord zum Opfer gefallen. Der Killer musste das ganze Wochenende bei ihm gewesen sein. Offenbar war es niemandem aufgefallen, und wie es aussah, hatte auch niemand etwas gehört. Das allein war schon eine Leistung.
Franco Gayo zählte zwar nicht zu den Menschen, die bei einem Gespräch unter vier Augen alle paar Minuten auf einen verborgenen Knopf am Schreibtisch drücken mussten, damit seine Bodyguards nebenan wussten, dass alles in Ordnung war und nicht den Raum stürmten. So bedeutend war er nicht. Doch er war bekannt genug, dass man ihn nicht einfach mal eben für zwei Tage völlig von der Bildfläche verschwinden lassen konnte.
Der Killer ist ein Profi, überlegte Clara. Oder ein Wahnsinniger. Oder beides.
Dann dachte sie wieder daran, was der Täter mit Gayo angestellt hatte, und ein Gefühl von Ekel und Machtlosigkeit umschloss sie, klebrig, schwarz und undurchdringlich.
Der Killer hatte Gayo aufs Parkett genagelt und ihm eine Klinge durch den ganzen Körper getrieben.
Warum hatte er ihm das angetan?, fragte sie sich. Hat Gayo irgendwelchen mächtigen Organisationen ans Bein gepinkelt? Hat er anderen die Show gestohlen? Aber selbst wenn es so sein sollte – ist das Grund genug für einen derart bestialischen Mord?
Clara wusste schon, was sie am Tatort erwartete, dem Ort der Schmerzen und des Grauens. Manchmal fragte ein Reporter sie, wie Mord riecht. Sie konnte es schlecht beschreiben, wusste es aber sofort, wenn sie es roch. Der Odem des Todes, der süßlich-penetrante Gestank von Leichen, vermischt mit dem kupfernen Geruch von vergossenem Blut und dem Schlachthausgestank zerfetzter Eingeweide. Vielleicht lag es am Ekel vor sich selbst, am Ekel vor dem Körperlichen und der bloßen Existenz, dass Menschen den Schlachthausgeruch von Fleisch besonders verabscheuten.
Warum hat der Täter das getan? Warum
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