Seelenangst
wichtige Organe zerstört wurden.«
»Mit Sicherheit beides«, erwiderte von Weinstein tonlos. »Oder sagen wir, alles auf einmal.«
»Wie oft hat der Täter zugestochen?«
»Ein Mal«, sagte von Weinstein. Und dann, nach einer Pause: »Das reichte aber auch.«
»Inwiefern?«, fragte Clara.
»Er hat ihm die Klinge in den Anus gestoßen und durch seinen ganzen Körper getrieben, bis sie aus dem Mund wieder heraustrat.«
Übelkeit erfasste Clara. Ihr war, als würde sich der Boden unter ihr bewegen. Sie musste sich an der Tischkante festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, während ihr Blick hinter einer Wolke verschwamm, schwarz und wogend wie die eines Tintenfisches. Sie riss die Augen auf, atmete tief durch und hatte sich nach ein paar Sekunden wieder unter Kontrolle.
»Sind Sie noch dran?«, fragte von Weinstein.
»Ja!«, antwortete Clara unwirsch, während sie versuchte, die Bilder, die vor ihrem inneren Auge erschienen waren, unter die Oberfläche des Bewusstseins zu drücken.
Bis es aus seinem Mund wieder herauskam …
»Wie lange ist das her?«
»Höchstens zwei Tage.«
»Hat er dabei noch gelebt?«
Von Weinstein ließ sich Zeit mit der Antwort. Schließlich sagte er: »Wie es aussieht, ja.«
13
Ein frischer Wind wehte über die Dachterrasse der Universität Santa Croce. Im Süden erstreckte sich die Piazza Navona, im Südosten ragte die Kuppel von Il Gesù, der Gründungskirche des Jesuitenordens, aus dem Gewirr der Gassen und Dächer. Im Westen erhob sich majestätisch die Kuppel des Petersdoms.
Don Tomasso und Alvaro de la Torrez nippten an den Pappbechern mit dem heißen Espresso, den sie aus der Cafeteria der Universität mit auf die Dachterrasse genommen hatten.
»Hör zu, Tomasso«, sagte Alvaro, während er dem Dampf hinterherschaute, der vom Kaffee aufstieg und vom Wind zur Piazza Navona getrieben wurde, »bei einem solch ernsten Thema kann man gar nicht übertreiben.«
Tomasso nickte. Und wenn er ehrlich war, sah er es genauso. Früher hatte er sich allerdings gefragt, ob man nicht auch einmal die gute Botschaft des Evangeliums verkünden sollte, statt immer nur Furcht zu säen. Doch Jesus selbst sagte, dass der Satan am Jüngsten Tag kommen würde wie ein Dieb in der Nacht. Musste man da nicht erst recht wachsam sein? »Es gibt den Satan«, pflichtete er ihm bei, »aber es gibt auch Hoffnung.«
»Gewiss«, sagte Alvaro. »Doch es gibt mehr als eine Milliarde böse Geister, aber nur zweihundert Exorzisten weltweit.« Er ballte die Fäuste. »Und trotzdem hat die Kirche in naiver Einfältigkeit die letzten dreihundert Jahre so getan, als würde der Satan nicht existieren und ihm damit in die Hände gespielt, denn genau das will er.« Er wies auf den Petersdom. »Wie sagte Papst Paul VI. im Jahre 1972?« Er schaute Tomasso erwartungsvoll an, bevor er weitersprach. »Durch einen Spalt …«
Tomasso nickte. »Durch einen Spalt ist der Rauch des Satans in den Tempel Gottes eingedrungen.«
»Wie recht er hatte«, sagte Alvaro. »Mittlerweile hat die ständige Ignoranz des Satans dazu geführt, dass er die Polizei mehr interessiert als die Kirche.«
Tomasso hob die Augenbrauen. »Tatsächlich?«
Alvaro nickte. »Tatsächlich. Allein in Italien gibt es mittlerweile mehr als sechshundert satanische Sekten. Sie breiten sich in ganz Europa aus.« Er schaute nach Westen, wo sich dunkle Wolken am Horizont auftürmten. »Es gibt einen Schwarzmarkt für geweihte Hostien, die in satanistischen Zirkeln für mehr als hundert Euro das Stück verkauft werden.«
Tomasso wollte scherzhaft erwidern, dass es für die Kirche vielleicht besser wäre, künftig Hostien zu verkaufen als mit dem Klingelbeutel herumzugehen, doch er verbiss sich den Kommentar.
»Die meisten Katholiken glauben nicht mehr an die Realpräsenz Christi in der Eucharistie«, fuhr Alvaro fort und ergriff Tomassos Arm. »Nur noch die Satanisten scheinen daran zu glauben. Würden sie sonst hundert Euro für eine geweihte Hostie zahlen, die sie in ihren Schwarzen Messen entweihen?«
Er trank von seinem Espresso und schaute auf die Kuppel des Petersdoms und die düsteren Gewitterwolken, die sich von Westen her auf Rom zubewegten.
»Es beginnt mit Gläserrücken, Pendelspielen, Kartenlegen, spiritistischen Sitzungen, Séancen. Aber dabei bleibt es nicht.« Er senkte verschwörerisch die Stimme. »Der Satan sorgt dafür, dass so etwas geschieht.« Er hielt Tomasso ein Foto hin. »Wer kann da noch allen Ernstes behaupten,
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