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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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nicht den Mord gefilmt?« Erinnerungen an ihren letzten Fall flackerten auf, wo der Killer, der sich »Der Namenlose« nannte, einige seiner Morde gefilmt und auf CD-ROM gebrannt hatte. Eine dieser CDs hatte er Clara persönlich geschickt.
    Von Weinstein wackelte mit dem Kopf, was sowohl Nicken als auch Kopfschütteln bedeuten konnte. »Nicht ganz. Die Spurensuche hat keinen Film oder Ähnliches auf dem Laptop gefunden. Wenn dort etwas war, hat der Täter es gelöscht, und es lässt sich wohl nur mit einigen Schwierigkeiten wiederherstellen …«
    »Um was geht es dann?«, fragte Winterfeld abwartend.
    »Um den Beamer und die Leinwand in Gayos Büro. Laut Spurensuche standen Kamera, Beamer und Leinwand so, dass von der Kamera zum Laptop in Richtung Beamer alles mit den vorhandenen Kabeln gesendet werden konnte.«
    Clara dämmerte allmählich, was passiert war. »Und Gayo lag so …«
    Von Weinstein ergänzte den Satz: »… dass er aus seiner liegenden Position alles sehen konnte, was sich auf der Leinwand abspielte.«
    »Und was hat er gefilmt?«, fragte Clara, obwohl sie die Antwort kannte, noch ehe ihr Verstand sie akzeptiert hatte.
    Von Weinstein blickte zu Winterfeld, dann zu Clara. »Die Kamera stand so auf dem Tripod, dass der Mörder die Tat filmen konnte.«
    »Das heißt, er hat …«, begann Winterfeld.
    Von Weinstein beendete den Satz: »Er hat Gayo das Schwert durch den Körper gebohrt und das Ganze gefilmt. Und er hat es ihm gezeigt . Live und in Großaufnahme. Die ganze Zeit. Was er tat. Wie er es tat. Wie die Klinge Zentimeter für Zentimeter in seinem Körper verschwand. Und Gayo musste es mit ansehen, ob er wollte oder nicht.«
    Clara merkte, wie der Boden unter ihr nachgab, und hielt sich am metallenen Sektionstisch fest. Diese Bestie hatte Gayo alles, was er getan hatte, live vorgeführt, wobei die Kamera es Gayo ermöglicht hatte, auch das zu beobachten, was er aus seiner liegenden Position sonst nicht hätte sehen können.
    »Warum hat er nicht geschrien, um Himmels willen?«, fragte Clara mit belegter Stimme. »Nicht auf sich aufmerksam gemacht?«
    Von Weinstein ging nach vorne zum Kopf der Leiche und nahm seine Brille ab. »Hier«, sagte er und zeigte auf zwei kleine Wunden an der Kehle. »Der Mörder scheint medizinisch versiert zu sein. Er hat Gayo die Stimmbänder durchgeschnitten, durch den Mund und die Rachenhöhle hindurch. Es ging ihm nur darum, ihm die Stimme zu nehmen, im wahrsten Sinne des Wortes.« Er reichte Winterfeld die Ermittlungsakte. »Gayo konnte in seiner Panik allenfalls einen Schwall heißer Luft ausstoßen, wobei schon der Versuch zu schreien mit durchgeschnittenen Stimmbändern extrem schmerzhaft ist.«
    »Woran ist er gestorben?«, fragte Winterfeld. »Am Blutverlust?«
    Von Weinstein schüttelte den Kopf und blickte Clara an. »Erinnern Sie sich an dieses bräunliche Schimmern im Rachen der Leiche?«
    Clara nickte.
    Von Weinstein zeigte auf den Monitor, auf dem auch Gayos Kehlkopf zu sehen war. »Die durchtrennten Stimmbänder waren nicht die einzige Überraschung. Auf dem CT-Scan ist zu sehen, dass sich im Kehlkopf ein Bolus befindet, ein Fremdkörper, der den Kehlkopfeingang fest verschließt. In den meisten Fällen ist ein Erstickungstod die Folge. Es kann aber auch durch den Druck auf die Vagusnerven neben dem Kehlkopf zu einem sofortigen Herzstillstand kommen.«
    »Er ist also nicht durch das Schwert gestorben?«
    »Nein«, sagte von Weinstein. »Kurz bevor die Klinge die Lunge und die Hauptschlagader erreicht hat, haben wir keine Unterblutungen mehr an den Wundrändern. Auch aus seinem Mund ist kein Blut mehr ausgetreten, nachdem das Schwert daraus hervorkam.«
    Ein Mensch, der tot ist, blutet nicht mehr , dachte Clara. »Und was ist dieser Bolus?«, fragte sie.
    Von Weinstein griff hinter sich und reichte Clara eine durchsichtige Tüte. »Das haben wir im Kehlkopf gefunden«, sagte er. »Eine Skulptur aus Bronze.«
    Clara kniff die Augen zusammen und fixierte die etwa fingerlange Statue, die sich in der Tüte befand und die von Blut und anderen Flüssigkeiten überzogen war. Sie betrachtete den Hals, die Zähne und die Flügel der Skulptur.
    »Ist das ein …?«
    »Ja«, sagte von Weinstein, »ein Drache.«
    Clara schaute auf das CT-Bild, wo der metallene Drache weiß aus dem schwarzen Kehlkopf ragte wie ein diabolisches Küken, das soeben aus einem verfluchten Ei schlüpfte.
    »Ein Drache«, murmelte sie.
    Von Weinstein zog sich mit einem schnappenden Geräusch

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