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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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den zweiten Handschuh aus.
    »Ja. An diesem Ding ist er erstickt.«

18
    Es gab in Berlin mehr als zehn Mordkommissionen, aber nur die 13. Mordkommission, geleitet von Kriminaldirektor Winterfeld, war direkt im LKA untergebracht und berichtete unmittelbar an den Chef des Berliner Landeskriminalamtes. Die 13. Mordkommission wurde immer dann eingeschaltet, wenn es um besonders rätselhafte oder grausame Morde ging: um Ritual- und Serienmorde, Vergewaltiger und Triebtäter, um stark verweste oder zerstückelte Leichen, deren Teile an verschiedenen Orten Berlins gefunden wurden, und um Fälle, die an der Schnittstelle zu anderen Bereichen des LKA lagen, wie Organ- oder Menschenhandel.
    Angedockt an die 13. Mordkommission war die Abteilung für forensische Pathopsychologie, die von Clara Vidalis geleitet wurde. Ebenfalls eng angebunden war das rechtsmedizinische Institut der Charité in Moabit, an dem von Weinstein beschäftigt war, von dem manche sagten, er arbeite mehr für Winterfeld als für den Staatsanwalt, auch wenn die Mordkommission nicht sein disziplinarischer Vorgesetzter war. Eine weitere Abteilung war die für operative Fallanalyse unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Friedrich, dem von Weinstein bereits die Fotos und Ergebnisse der Obduktion als Pdf-Datei geschickt hatte.
    Die Abteilung für operative Fallanalyse befasste sich mit dem Profil des Serienmörders, seiner Motivation und seiner Vergangenheit – letztlich also mit den Möglichkeiten und Mitteln, ihn zu schnappen. Das Profiling war in den Siebzigerjahren in den USA von Robert Ressler und John Douglas in der Behavioral Science Unit des FBI entwickelt worden, der Abteilung für Verhaltensforschung. Damit lösten Ressler und Douglas innerhalb des FBI eine Art Kulturrevolution aus. Die FBI-Beamten, die sich bis zu dieser Zeit mit Serienmördern befasst hatten, waren nicht selten Veteranen aus dem Vietnamkrieg, sogar aus dem Zweiten Weltkrieg gewesen. Sie hatten die Meinung vertreten, man solle diese Perversen kurzerhand erschießen, sobald man sie fand, anstatt lange mit ihnen zu reden – ohne sich Gedanken zu machen, dass man gerade durch Gespräche mit den Tätern einiges aus ihnen herausbekommen konnte, was dabei half, andere Triebtäter und Serienkiller aufzuspüren und dingfest zu machen.
    Es war Resslers Idee gewesen, mit Serienmördern Interviews zu führen, um verstehen zu lernen, was sie taten und warum sie es taten. Von den Vietnamveteranen als »Killer-Versteher« gebrandmarkt, hatte Resslers Interviewtechnik und die von ihm entwickelte Technik des Profilings schnelle Erfolge gezeigt. In den Achtzigerjahren hatte Ressler mehr als 36 inhaftierte Serienmörder interviewt und war gleichzeitig die treibende Kraft beim Aufbau des ViCAP gewesen, des Violent Criminal Apprehension Program, einer computergestützten Datenbank ungeklärter Mordfälle, die landesweit verfügbar war und die es ermöglichte, durch die Beschreibung einer Tat auf das Täterprofil eines möglichen Serienmörders und seinen Modus Operandi zu schließen und dadurch den Täterkreis einzugrenzen.
    Prof. Martin Friedrich hatte bei Robert Ressler die Kunst des Profilings gelernt und galt als Koryphäe, wenn es darum ging, die Psyche eines Serienkillers zu analysieren. Er hatte in Berlin und an der FBI Academy Medizin, Psychiatrie und Forensik studiert und dann für die Behavioural Science Unit des FBI in Quantico, Virginia, gearbeitet – jener Abteilung, die sein Lehrmeister Robert Ressler einst zusammen mit John Douglas gegründet hatte.
    Das BKA hatte Friedrich mit einem vermutlich verlockenden Angebot, gewürzt mit einer Prise Lokalpatriotismus, zurück nach Deutschland abgeworben und zunächst in Berlin eingesetzt, damit er möglichst nahe am »Endkunden« war, zumal »Berlin mit außergewöhnlich vielen Verrückten aufwarten kann«, wie der Chef des BKA sich damals ausgedrückt hatte – viel mehr Verrückte jedenfalls als im eher beschaulichen Wiesbaden.
    Friedrich war ein Workaholic. Hatte er sich einmal an einem Täter festgebissen, führten seine teilweise abenteuerlichen Algorithmen häufig zu dessen Festnahme. Eine seiner wenigen Leidenschaften neben der Arbeit waren der Genuss von schottischem Whisky und die Lektüre der Werke Shakespeares, den er wiederholt als besten Menschenkenner und Psychologen der Weltgeschichte gepriesen hatte. Insbesondere der tragische Held Macbeth hatte es ihm angetan, und so hatte er bereits in den Vereinigten Staaten seinen Spitznamen

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