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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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erhalten, der zwar nicht allzu schmeichelhaft war, aber besser zum ihm passte als alle anderen: MacDeath.
    Ganz im Gegensatz zu seiner Innenwelt war sein Äußeres das eines kultivierten Mannes, der sich gern im Stil der akademischen Elite der amerikanischen Ostküste kleidete, wie man sie in Harvard, am MIT und in Boston antraf. MacDeath trug meist marineblaue College-Pullunder mit Hemd und roter Krawatte, dazu eine braune Hornbrille, von der man nicht wusste, ob sie noch oder schon wieder in Mode war. Er hätte durchaus als charmanter und nicht unattraktiver Gentleman durchgehen können, hätte er nicht die Neigung gehabt, in den unpassendsten Situationen, zum Beispiel beschaulichen Abendgesellschaften oder Parties, von ritueller Verstümmelung , ödipaler Kastrationsangst oder postmortaler Penetration zu referieren, so wie andere Menschen von ihrem letzten Jahresurlaub erzählen.
    »Das ist ein Wochenanfang! Was für ein Montag«, sagte er nun zu Clara und Winterfeld, als er gemeinsam mit von Weinstein den Parkplatz der Rechtsmedizin ansteuerte, wo Winterfelds Mercedes stand. In der Hand hielt er eine Mappe mit Unterlagen. »Wenn die Woche schon so anfängt, möchte ich nicht wissen, wie sie aufhört. Sie?«
    Clara zuckte die Schultern. Da es in ihrem Job fast nur schlechte Nachrichten gab, zog sie es vor, über die Zukunft am besten gar nichts zu wissen.
    »Fahren Sie mit uns?«, fragte Winterfeld.
    »Gerne«, sagte MacDeath. »Bin eben mit dem Taxi gekommen, ging schneller.«
    Von Weinstein stand vor der dunklen Silhouette des rechtsmedizinischen Instituts. Er winkte den anderen zu und ging dann ins Gebäude zurück. Clara setzte sich mit MacDeath auf die Rückbank des Mercedes, während Winterfeld den Wagen startete und das Licht der Scheinwerfer die Dunkelheit durchschnitt.
    »Und?«, fragte Winterfeld und blickte MacDeath im Innenspiegel an. »Schon irgendwelche Ideen, was das nun schon wieder für ein Verrückter ist?« Der Wagen durchfuhr den Campus von Moabit und hielt kurz vor der Schranke an der Einfahrt zur Turmstraße, bis er von den Sicherheitsbeamten durchgewinkt wurde.
    MacDeath lehnte sich zurück. »Mein Name ist Legion, Tausende gibt es von mir«, las er die Botschaft des Killers vor. »Das ist aus dem Markusevangelium. Es sind die Worte eines unreinen Geistes. Ein Dämon, der von Jesus Christus ausgetrieben wird. Jesus als erster Exorzist der Weltgeschichte. Im weiteren Verlauf leitet er die bösen Geister in eine Schweineherde, und die Herde stürzt sich von einer Klippe in den See Genezareth und ertrinkt.«
    »Ich kann mir denken, auf was Sie hinauswollen«, sagte Clara.
    »Und das wäre?«
    »Der Killer multipliziert sich durch diese Ankündigung. Er will uns mitteilen, dass er nicht allein ist. Oder wenn doch, dass er überall sein kann.«
    »Also doch die Zeugen Jehovas«, sagte Winterfeld, während er die Scheibenwischer eine Stufe höher stellte.
    Clara warf ihm einen tadelnden Blick zu und schaute MacDeath an. »Und das heißt auch, er wird weitermorden, nicht wahr?«
    »Steht zu befürchten.« MacDeath nickte und betrachtete die Tatortfotos in der Ermittlungsakte. »Oops, I did it again. Ein Serienmörder. Er tut es wieder, vielleicht nicht tausend Mal, aber er kündigt uns – oder wem auch immer – bereits an, dass es nicht das letzte Mal gewesen ist.« Er schaute Clara durchdringend an. »Und der Vergleich ›Mein Name ist Legion‹, wie klingt das?«
    »Ein bisschen überheblich«, antwortete Clara, auch wenn ihr das Wort »überheblich« als viel zu harmlos für diese Bestie erschien.
    MacDeath schürzte die Lippen. »Der Täter entindividualisiert sich durch diese Aussage, macht sich zu einer Naturgewalt, zu einer Masse, die er ist und die er kontrolliert. Er wird zu einer Art kosmischem Gesetz, zu etwas Unvermeidlichem, als wollte er den Betrachter dadurch entmutigen. Er ist Legion.«
    »Der böse Geist, den Jesus austrieb, war ein Dämon, nicht wahr?«, fragte Clara.
    MacDeath runzelte die Stirn. »Was das angeht, müssten wir wirklich einen Dämonologen befragen, denn meine Wenigkeit ist leider nur auf die Schrecken der materiellen Welt spezialisiert.« Er schaute an Clara vorbei auf das gelblich-trübe Licht der Laternen an der Turmstraße, unter denen dunkle Gestalten durch den strömenden Regen huschten.
    »Auf jeden Fall schmeichelt ihm die Verbindung mit dem Teufel«, sagte Clara.
    MacDeath nickte. »Jeder hat seine Vorbilder. Das Idol unseres Killers ist möglicherweise

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