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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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Tagebuch der toten Großtante lag, oder wo Lucia die neue SIM-Karte für ihr Handy verlegt hatte – und wo sie dann tatsächlich lag. »Luigi« habe der Geist sich genannt.
    Amilia hätte das Gerede ihrer Tochter nur zu gerne als Unsinn abgetan, hätte Lucia nicht manchmal Dinge gewusst, die sie eigentlich gar nicht wissen konnte.
    Und was »Luigi« betraf, hatte er sich mit den Wochen von einem freundlichen Geist – falls er es jemals gewesen war – in etwas anderes verwandelt und diese Wandlung an ihre Tochter weitergegeben. Und was daraufhin mit Lucia geschehen war, hatte Amilia in einen Zustand tiefster Verzweiflung gestürzt. Es kam vor, dass das Mädchen nachts wie hypnotisiert durch die Gegend lief und von einer Sekunde auf die andere markerschütternde Schreie von sich gab. Manchmal schlief sie zwanzig Stunden am Stück, um dann mit fürchterlichem Geheul aufzuspringen, auf Händen und Knien geifernd und schnappend durch die Wohnung zu toben und sich ohne jede Selbstkontrolle zu entleeren.
    Irgendwann sprach sie nicht mehr von Luigi. Manchmal kam es Amilia vor, als gäbe es keinen Luigi mehr. Und zwar deswegen, weil es keine Lucia mehr gab. Weil ihre Tochter und der Geist eins geworden waren.
    In ihrer Verzweiflung hatte Amilia einen Hypnotiseur bestellt, Dr. Garonne, der ihnen von einem der Psychiater empfohlen worden war, die Lucia der Reihe nach zu therapieren versucht hatten. Garonne war dreimal bei ihnen gewesen, bevor er nach der dritten Sitzung die Behandlung abbrechen musste, da er ins Krankenhaus eingeliefert wurde.
    »Wo ist denn dieser Geist?«, hatte der Hypnotiseur wissen wollen, während er Lucia erwartungsvoll anblickte und ein Pendel vor ihren Augen hin und her bewegt. »Wo ist er?«
    Lucia hatte ihn mit leerem Blick angestarrt und war mit dem Oberkörper vor und zurück gewippt, wobei sie ein monotones Summen von sich gab und stoßweise die Luft durch die Nase ausstieß.
    »Wo ist er?«, hatte der Hypnotiseur seine Frage wiederholt, mit lockender und ein wenig amüsiert klingender Stimme.
    Lucia hatte den Kopf nach oben bewegt und Garonne aus zu Schlitzen verengten Augen angestarrt, während sich ein seltsames Geräusch in ihrer Kehle aufbaute. Tief, bedrohlich und ganz und gar unnatürlich. Weniger von einem Menschen, eher von einem Tier. Oder von etwas ganz anderem.
    »Ist er in deinem Zimmer? Oder im Korridor? Im Garten vielleicht?«
    Keine Antwort.
    »Wo ist er?«, fragte der Hypnotiseur noch einmal.
    Schweigen.
    »Wo ist er?«
    Der Hypnotiseur war kein Exorzist, sonst wäre ihm das dunkle, bedrohliche Grollen aufgefallen, das nun vernehmlich aus Lucias Kehle drang und an Lautstärke und Intensität zunahm, während ihre Augen sich nach oben drehten, bis nur noch das Weiße zu sehen war.
    »Errrr isssst …« Lucias Stimme schwoll an – ein lauernder Donner, bevor der Blitz einschlug. »Er ist hier!«
    Das letzte Wort kam wie ein Pistolenschuss und vermischte sich mit dem Schmerzensschrei des Hypnotiseurs, als Lucias Hand ruckartig nach vorn schoss, Garonne im Schritt packte und zudrückte.
    Ihre Eltern waren aufgesprungen, während Garonne seinen Schmerz hinausbrüllte und Lucia mit pupillenlosen Augen in die Leere des Zimmers starrte, wobei erneut das Grollen aus ihr hervorbrach.
    »Er ist hier!«, schrie sie dann. »Hiiieeer!«
    Amilia brach noch immer der Schweiß aus, wenn sie an diese Szene dachte.
    Dann riss ein Geräusch sie aus ihren Gedanken. Die schwere Eingangstür der Kirche öffnete sich und ließ das fahle Licht der Wintersonne in den Innenraum des Gotteshauses fallen.
    Zwei Männer in Soutanen betraten die Kapelle, benetzten sich mit Weihwasser, blieben kurz vor dem Altar stehen und verbeugten sich, bevor sie weiter ins Kirchenschiff gingen, begleitet von zwei Diakonen, die den Priestern in einigem Abstand folgten.
    Amilia kannte die beiden Geistlichen. Der eine war Tomasso Tremonte, Adlatus der Glaubenskongregation des Vatikans. Der andere war der Mann, auf den sie all ihre Hoffnung setzte. Don Alvaro de la Torrez, oberster Exorzist der Diözese Rom und Chefexorzist des Vatikans.
*
    Tomasso Tremonte betrat gemeinsam mit Alvaro de la Torrez, den zwei Diakonen und Lucia das Untergeschoss der Kapelle. Eine Kirche – ein geweihter Ort – eignete sich am besten, wenn es darum ging, Dämonen auszutreiben. Zudem gab es einen ganz praktischen Grund: Im Keller waren die Schreie der Besessenen nicht so laut zu hören, vor allem nicht für die Angehörigen. Signora La Blanca,

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