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Seelenangst

Seelenangst

Titel: Seelenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Etzold
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Angst?«
    Mandy nickte langsam. »Vor ihm ja. Immer und überall.«
    Clara versuchte, so ruhig wie möglich zu antworten, ohne Mandy in die Enge zu treiben. Jedes falsche Wort konnte dazu führen, dass die junge Frau sich wieder verschloss.
    Der Böse. Wer war dieser Böse?
    »Wer ist es, Mandy?«
    »Er?« Mandy zog das Er sehr lang und starrte Clara unverwandt an. »Der Gott des Mordes. Der Bewohner des Feuers.«
    »Bewohner des Feuers?«
    »Wir alle sind Bewohner des Feuers. Wir töten für den Gott des Mordes. Wir töten für den Drachen.«
    Der Drache.
    Clara schaute Mandy aufmerksam an, ohne ihr zu nahe zu kommen oder irgendetwas zu tun, was ihr Angst einjagen könnte.
    »Warum tötet ihr für den Drachen?«
    »Warummmm?« Mandys Lippen summten eine Melodie, bevor sie weitersprach. »Weil wir nicht anders können. Er befiehlt nicht nur, er ist in uns. Er ist wie Klingen in unseren Eingeweiden, die uns von innen zerfetzen, wenn wir nicht mehr gehorchen.«
    Wenn wir nicht mehr gehorchen.
    »Was passiert, wenn ihr nicht mehr gehorcht?«
    »Wenn wir nicht mehr gehorchen?« Mandy wippte vor und zurück und wiederholte den Satz. »Wenn wir nicht mehr gehorchen?« Sie fletschte die Zähne. »Dann müssen wir Dinge essen.«
    »Was für Dinge?«
    »Alle Dinge.«
    »Alle Dinge?«
    »Lebende und Tote.«
    Clara hatte von Ritualen gehört, bei denen Menschen gezwungen wurden, Schmutz und Kot zu essen. Oder Leichenteile. Oder das Fleisch lebender Menschen.
    »Was esst ihr genau?«
    »Wiiiir?«, fragte Mandy wieder in einem unheimlichen Singsang. »Wir essen alles, was uns nicht isst.«
    Immer das Wir, dachte Clara. Es mussten mehr sein als nur Mandy. Viel mehr vielleicht.
    »Wer ist wir?«, fragte Clara. »Wie viele seid ihr?«
    »Viele«, sagte Mandy tonlos und blickte starr an die Wand. »Wir sind viele.«
    Der mit Blut geschriebene Satz an der Wand von Gayos Büro tauchte vor Claras innerem Auge auf. Mein Name ist Legion. Tausende gibt es von mir.
    »Der Mann mit dem schwarzen Kapuzenpullover«, sagte Clara vorsichtig. Sie würde kaum etwas aus Mandy herausbekommen, das wusste sie, aber vielleicht bekam sie auf diese Weise einen anderen Hinweis. »Der Mann, der die Geste gemacht hat.«
    Sie sah, wie Mandys Augen sich weiteten. Aber mehr geschah nicht.
    »Ist er es?«
    »Er?« Mandy schüttelte langsam den Kopf. »Er ist stark. Und grausam. Aber er ist nur einer von vielen. Er ist nicht der Drache.«
    Mandy schaute eine Weile schweigend zur Decke, dann fuhr sie fort: »Der Drache. Er hat uns gesagt, was passieren wird, wenn wir nicht tun, was er will. Wenn wir mit den Opfern nicht machen, was er will. Wenn wir nicht …« Plötzlich erstarrte sie, als hätte jemand einen Film angehalten. »Nein«, brach es dann schrill aus ihr hervor. »Nein! Wir können es nicht sagen!«
    »Mandy, ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Ich kann …«
    »Nein!«, stieß Mandy hervor, und ihr Gesicht zuckte auf Clara zu wie der Schnabel eines Raubvogels. »Sie können sich nur helfen, indem Sie … indem Sie …«
    Clara ließ ein paar Sekunden verstreichen, damit die Frage nicht zu provozierend wirkte. »Indem ich was?«
    »Indem Sie den Fall auf sich beruhen lassen.«
    Claras Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ich soll was?«
    »Sie haben mich verstanden«, sagte Mandy. Mit einem Mal war ihre Stimme kalt und kontrolliert. »Sonst wird er, sonst wird der Drache …« Mandys Blicke durchbohrten Clara. Ihre Augen, die zuvor so stumpf gewesen waren, erschienen jetzt hart und klar wie Diamanten. »Sonst wird er sich auch um Sie kümmern.«
    »Um mich kümmern?« Clara merkte, wie sich ihre Hände verkrampften. »Ist das eine Drohung?«
    »Nein«, sagte Mandy und rückte in ihrer Zwangsjacke wieder ein paar Zentimeter zurück. »Das ist keine Drohung. Es ist ein Versprechen.«

21
    Der Mann mit der schwarzen Brille verbeugte sich vor den vier schwarz gekleideten Gestalten auf der Waldlichtung, die am Rand des blutverschmierten Steinkreises standen, in dessen Mitte das Feuer brannte. Über dem Feuer hing der Kessel mit der dunkelroten Flüssigkeit.
    »Dunkler, der du reitest auf dem Wind des Abyss und die Nachtgestalten rufst zwischen den Lebenden und den Toten«, sprach eine der Gestalten, »schicke uns den Großen Alten aus der Welt des Schreckens, dessen Worte wir ehren bis ans Ende des unsterblichen Schlafes.«
    »In schwefligen Höhlen mit faulenden Schwämmen und vor Monolithen von titanischem Ausmaß und erschreckender Erscheinung«, ergänzte

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