Seelenasche
Augen waren feucht geworden. Nun glich er wirklich einem verwöhnten Pekinesen, der beleidigt war, weil man ihm das Hühnerbeinchen nicht auf einem zarten chinesischen Porzellantellerchen serviert hatte. Jordan schüttelte sich vor Verachtung. Er lief Gefahr, etwas ebenso Grausames wie Wahres zu sagen.
»Du bist eine traurige, erfolglose Gestalt, Robby, und beklagst dich andauernd; das wird in der heutigen Zeit nicht geschätzt. Dir fehlen die nötige Courage und Durchsetzungsfähigkeit, um glücklich mit dir zu sein â wie sollen die anderen dir da etwas abkaufen.«
Jetzt sah er seinen Chef, zwei Spielfelder weiter. Gospodinov trug seinen weiten Tennisdress und zwei Schläger der Marke Prince. Jordan musste nun mindestens einen Satz verlieren, um die Abneigung seines Vorgesetzten gegen diesen Sport in sein Ãberleben, in Spiel, Satz und Sieg für den Runden Tisch zu verwandeln.
Viertes Kapitel
1
Als der Vorhang fiel und der Applaus aus der angespannten Stille im Theatersaal explodierte, verlieà Assen seinen Platz zutiefst berührt. Dieser Applaus täuschte Begeisterung nicht vor, wie es früher war, wenn Emilias nächste Durchschnittsleistung händeklatschend durchgewinkt wurde, sondern bedeutete echte Anerkennung. Die Garderobenfrau hörte von drauÃen verträumt lächelnd diesem Aufbranden der Begeisterungswelle zu. Das noch leere, in seinem Barockglanz versunkene Foyer ähnelte einem fürstlichen Hofgemach. Assen nahm seinen Trenchcoat entgegen, ergriff den Blumenstrauà und machte sich auf zu den Künstlergarderoben. Niemand hielt ihn auf. Sein ehrwürdiges Alter und die Rosen in seiner Hand waren Garanten genug für seine guten Absichten. Im Korridor roch es nach Theater, nach gegenständlich gewordener Täuschung, nach ungelüftetem Dachboden und zerfallender Welt. Doch wenn man ihre Garderobe betrat, überstrahlte Emilias Parfüm alles.
Assen setzte sich und wartete. Er wurde das seltsame Gefühl nicht los, dass jeden Moment eine junge Frau hereinkommen musste, die Frau, die sie vor dreiÃig Jahren gewesen war, mit weizenblondem Haar und sommersprossigem Gesicht. Er sah sie zuerst im Spiegel â und seufzte erleichtert. Sie sah glücklich aus, müde, beinahe alt. Ihre bläulich schimmernde Schminke lag auf ihrem Gesicht wie eine Maske. Die Lumpen der Mutter Courage an ihrem Leib machten sie dicker und gaben ihr eine besondere, eine fast männliche Entschlossenheit. Er dachte: Ich liebe sie!, und seine Augen wurden verräterisch feucht. Ich kann mich noch nicht mal ein bisschen zusammenreiÃen, wies er sich wortlos zurecht, ich â ein in seine Noch-Ehefrau verliebter Tattergreis!
»Du warst wundervoll«, sagte er unbeholfen und reichte ihr den RosenstrauÃ.
»Ich hab dich schon von der Bühne aus im Parkett gesehen. Danke, dass du gekommen bist!«
Ihre Brust hob und senkte sich schwer atmend, als sei sie noch auf der Bühne und bereite sich auf den nächsten Vorhang, die nächste Verbeugung vor. Sie strich mit den Lippen über die Rosen, entnahm seiner Hand die entzündete Zigarette und sog tief daran.
»Das war die Rolle deines Lebens! Ich bin einfach sprachlos!«
»So hast du noch nie geredet ⦠zu mir.«
»Aber ich bin doch nach jeder Premiere mit Blumen zu dir gekommen?«
»Ja, du hast mir liebend gern was vorgelogen.«
»Dessislava liebt das Lügen, ich liebe dich.«
Emilia lächelte und drohte ihm neckisch mit dem Finger. Man sah ihr das Glück wirklich an.
»Bleibst du zum Cocktail?«
»Nein â¦Â« Er trat zur Seite, um den Spiegel frei zu machen. »Ich überlasse dich dem Erfolg. Der ist immer jung, und ein glänzenderer Kavalier als ich.«
Das grelle Licht, das eitle Gelärme, das Rascheln der Abendkleider, der Schimmer textilfreier Schultern und sinnfreier Phrasen â all das konnte er einfach nicht mehr ausstehen. Theo Sotirov würde sich benehmen wie ein von Gott Begnadeter, so als hätte er nicht nur inszeniert, sondern das Stück auch selbst geschrieben ⦠Und er wollte auch die übertriebenen Komplimente nicht hören, mit denen Emilias Kolleginnen und Kollegen ihrem Triumph Abbruch taten. Dasselbe hatte Emilia umgekehrt ja auch getan! Wie oft hatte sie in gespielter GroÃherzigkeit Margarita Lilova geküsst, um Assen anschlieÃend zuzuflüstern: »So hässlich darf eine Schauspielerin
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