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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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dieses Massengefühl von Einigkeit und Zusammengehörigkeit erzeuge, verstehst du?«
    Â»In letzter Zeit wiederholen wir uns wirklich.«
    Â»Ich wiederhole mich«, unterbrach sie Jordan. »Nur dass ich nicht weiß, ob ich den Runden Tisch wiederaufleben lassen will. Der Chef hat mir eine Beförderung versprochen. Vom Bildschirm aus betrachtet: eine Hinausbeförderung.«
    Â»Bring mich nicht zum Lachen … Du bist ein platonischer Tyrann, Weltschev, und was ist ein Tyrann ohne Ruhm und Macht? Und bedenk bitte auch: Wo willst du denn hin ohne Fernsehen? Du kannst doch nichts anderes als zu improvisieren, um deine Eitelkeit hochzukämmen. Ich hoffe, das klingt jetzt nicht beleidigend, aber du bist all die Jahre ein genialischer Dilettant geblieben, der seine Themen genau so weit versteht, wie eben nötig.« Sima setzte eine ernste Miene auf, beugte sich zu ihm, als fürchte sie, sie würden belauscht, und flüsterte: »Du bist der inexistente, aber allgegenwärtige Mensch, Weltschev. Du bist ein Gespenst, das jeder Beliebige sich ins Haus holen oder daraus verjagen kann.«
    Â»Halt mal eben die Klappe«, sagte Jordan missgestimmt, »du lenkst mich ab.«
    Auf einmal verstand er, warum er genau Sima aufgesucht hatte. Unterbewusst musste er gehofft haben, dass sie ihm die Wahrheit sagen, ihn bis aufs Blut verletzen, ihn in seiner Eitelkeit kränken und so seinen Überlebensinstinkt, seinen Kampfgeist wecken würde, seinen Hunger, sich auf dem Bildschirm zu behaupten. Sein Wunsch, zu gehen, war verschwunden; stattdessen begann das Rädchen seiner Phantasie sich zu drehen. Er fühlte einen angenehmen Taumel, als habe sein Gehirn sich vom Alkohol befreit und frische Luft getankt. Er diktierte fahrig, aber engagiert. Dabei stapfte er durchs halbdunkle Zimmer und trat angriffslustig gegen herumliegende Dinge. Neda war fern gerückt. Sie schlief vermutlich schon. Wenigstens diese Nacht würde sie ohne Hoffnung auf Widerstand bleiben. Die Rauchwolken hingen unter der Rattankugel der Deckenlampe; Simas Gesicht hellte sich langsam auf.
    Â»Das wird eine tolle Sendung«, sagte sie leise, fast träumerisch. »Gospodinov wird vom Stuhl kippen.«
    Â»Wird er nicht«, erwiderte Jordan müde. »Der Chef sitzt beim Fernsehen immer hinter dem Schreibtisch.«
    Â»Und hör auf, so viel zu lächeln, wenn du auf Sendung bist. Dein Lächeln mag ja sehr munter und sehr charmant sein, aber du übertreibst es damit. Ich will dich dramatischer sehen, bedrohlicher, wirklich betroffen von der Verwundbarkeit der zeitgenössischen Zivilisation. – Hol’s der Teufel, wir haben halb sechs morgens, ich mach dir auf dem Sofa eine Schlafgelegenheit zurecht.«
    Sima räkelte sich wohlig. Nun glich sie wieder einer dreißig Jahre alten, einsamen, betrogenen Frau. Er war ihr schrecklich dankbar, geradezu widerwärtig dankbar, fast erniedrigt. Er umfasste ihre Schultern, spürte, wie sie in seinen Händen zusammenzuckten.
    Â»Allein kann ich nicht schlafen, ich hab Angst vor dem Kater.«
    Â»Du hast Angst vor dem Misserfolg, Weltschev«, antwortete sie kühl und entzog sich ihm. »Du brauchst jetzt ein bisschen Schlaf.«
19
    Der sommerliche Regenguss hatte aufgehört, der Park dampfte und zeigte sein frisch gewaschenes Grün. Es roch nach Pilzen und morschem Holz. Die Sonne brannte wieder so auf den gewalzten Tennisplatz herab, dass er sich mit einem feinen Flimmern aus Hitze und Ausdünstungen bedeckte. Es war schwül und feucht. Auf den Bänken saßen so wenige Zuschauer, dass Jordan keine Veranlassung sah, sich anzustrengen, schon gar nicht gegen diesen Idioten Robby. Robbys Gesicht war so platt, als hätte ein Pferd hineingetreten; seine Schläge aber waren so mächtig, als wolle er es dem Tier gleichtun. Er führte Interviews mit weltberühmten Leuten, die durch Bulgarien kamen. Er meldete sich in ihrem Hotel, setzte sich an ihren Tisch im Restaurant oder lauerte ihnen sonst wie mit seinem Hufeisenlächeln in Ecken und Winkeln auf. Wenn sie seine Aufdringlichkeit nicht mehr aushielten, versuchten sie, so klug und geistreich wie möglich auf seine dummen, einfallslosen Fragen zu antworten. Robby hatte es einmal sogar geschafft, Omar Sharif vors Mikrofon zu bekommen, indem er ihm versprach, eine Bridge-Runde für ihn aufzutreiben, nur um ihn dann zu fragen: »Wie oft im Leben haben Sie geweint?« oder

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