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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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mangelnde Wertschätzung als Zeichen demokratischer Gesinnung. Und Flegelhaftigkeit und demonstrative Gleichgültigkeit als Beweis, wie frei man doch ist.«
    Â»Jordan hat am Wochenende Aufnahmen, und Dessislava ist dumm und verbiestert. Du weißt doch, wie böse sie uns ist?«
    Â»Weil wir uns scheiden lassen?«
    Â»Vermutlich … Sie will nicht einsehen, dass auch alte Menschen sich noch entwickeln.«
    Â»Heute Abend hast du dich selbst übertroffen.«
    Â»Das Gemeine ist bloß: Kaum hat der Mensch den einen inneren Konflikt überwunden, stößt er sich den Kopf schon am nächsten. Als ich heute so auf der Bühne stand, hab ich gemerkt: Alt bin ich geworden.«
    Â»Ja, so ist das. Ein Problem zieht das andere nach sich, und ein Buch das andere! Als ich mein Buch über die Probleme der Macht abgeschlossen und zum Druck gegeben habe, war sofort klar, dass ich es so nicht stehenlassen und mich irgendwie nun auch zur Demokratie in ein Verhältnis setzen musste.«
    Sie schwiegen verschämt. Wagten es nicht, sich in die Augen zu schauen.
    Â»Ich mach mir Sorgen …« Emilia begann zu rauchen. »Dessislava hört nicht auf zu lügen, sie lügt ununterbrochen.«
    Â»Sie lügt uns vor, dass sie Angst um sich selbst habe, dabei hat sie um uns Angst. In ihren Augen sind wir einsam, krank und hilflos. Vom Egoismus verkrüppelte Alte.«
    Â»Ich verstehe diese Generation einfach nicht. Als wir jung waren, hatten wir ein einziges Vergnügen – die Armut. Wenn ich nur an den Küchenschrank denke, vor den du dich zum Schreiben gequetscht hast, dann das Bett, und der rauchende Herd erst! Ich hatte nicht mal Unterwäsche!«
    Â»Arm und beflügelt sein, das kann sich nur ein wahrhaft glücklicher Mensch erlauben.«
    Â»Und … waren wir glücklicher damals?«
    Â»Ich finde, ja. Wir hatten ja eine Perspektive. Wir glaubten an uns und – an die Zukunft!«
    Â»Die helle, die strahlende Zukunft«, nahm Emilia seine Worte ironisch auf. »Und was ist daraus geworden? Wir lassen uns scheiden, und können diesen Schritt noch nicht einmal unseren Kindern erklären.«
    Assen fühlte sich ebenfalls unnötig, aus dem Sinn des Lebens gerupft wie Unkraut und daher kraftlos und verunsichert. Vielleicht war auch das nur eine Alterserscheinung wie die Abstumpfung der Sinne. Er versuchte noch, die Perestrojka zu akzeptieren, hatte, wenn auch mit Mühe, begriffen, dass der einzige Ausweg, die letzte Chance für den Sozialismus darin bestand, zu den überkommenen menschlichen Werten und Qualitäten zurückzukehren, jener stolzen Anständigkeit früherer Tage, und sie zu Atem kommen zu lassen durch Freiheit und Demokratie. Gorbatschow hatte die Vergangenheit »abgewatscht«, sie zur Ader gelassen und in ihr herumgebohrt und sprach nun ausgiebigst über die Notwendigkeit von Reformen; er sagte aber nicht, welche das sein sollten und wie sie umgesetzt werden könnten. In dieser Hinsicht erschien ihm der Weg, den die Chinesen gewählt hatten, aussichtsreicher. Nach dem Orkan der Kulturrevolution mit ihrem ungezügelten Terror hatte Deng Xiaoping beschlossen, anstelle folgenloser ideologischer Parteitagsbeschlüsse Wirtschaftsgesetze zu erlassen, die wirklich griffen. »Es ist nicht wichtig, ob die Katze weiß oder schwarz ist«, hatte er gesagt, »wichtig ist, dass sie Mäuse fängt.« Nach Assens Dafürhalten war die Perestrojka Gorbatschows viel zu laut, demonstrativ und übereilt, ein gehetzter Stillstand, der unterm Strich die Breschnjew-Ära fortsetzte, ein rauschender Wörterfall, der den alten Fehler der Kommunisten wiederholte, in zerstörerischer Weise die Zukunft herbeizuwünschen, ohne dies durch irgendwelche realen Weichenstellungen in der Gegenwart in die Wege zu leiten. Das große Verdienst der Perestrojka war, dass sie nach viel Leid zwischen den Blöcken endlich internationale Verständigung herbeiführte, zur globalen Befriedung beitrug und den Albtraum eines Atomkriegs verscheuchte. Die Welt hatte sukzessive ihre erratische Unübersichtlichkeit verloren, war klein und verletzbar geworden, und jeder Konfliktherd an beliebigem Ort konnte die ganze Menschheit ins Verderben reißen.
    Assen ärgerte sich über seinen Sohn; dabei hatte gerade Jordan ein verblüffendes Gespür für die Zeichen der Zeit. So eitel und oberflächlich er auch sein mochte:

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