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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Dessislava Assenova Weltscheva in Sachen Prüfung einzulegen. Der in allen theatralischen Schablonen und Konventionen kundige Bühnengott hatte Dessislavas Behandlung des Hamlet als persönliche Beleidigung aufgefasst und sie gezwungen, ihr Staatsexamen zu wiederholen. Christo wusste, dass Sotirov und Dessislavas Eltern sich gut kannten, und war überzeugt, dass er zu einem Kompromiss bereit war; weniger sicher war er sich bei Dessislava, deren Sturheit für jede Verrücktheit gut war. Ach, diese bittere, aber wundervolle Verrücktheit! , dachte er melancholisch. »Du kannst dich beruhigt zurücklehnen«, hatte der Minister ihn angerufen, »der Genosse Sotirov hat feierlich versprochen, deine Cousine zu diplomieren, selbst wenn sie eine ausgewachsene Hirnrissigkeit abliefert.«
    Nachdem er das Gewünschte erreicht und ein gutes Werk getan hatte, ohne dafür im Gegenzug etwas zu verlangen, musste er irgendetwas Gemeines tun, um sein inneres Gleichgewicht, seinen Seelenfrieden wiederherzustellen. Von klein auf war ihm nämlich auf erzieherischem Wege das Gewissen herausoperiert worden, und dies mit solchem Erfolg, dass er sich noch nicht einmal da schämte, als er auf einer Schülerarbeitsbrigade nachts ins Bett gemacht und die Mädchen das spitzbekommen hatten. Und Schuldgefühle hatte er noch nicht einmal da bekommen, als er wegen der ihn verzehrenden Eifersucht das Sakko seines Onkels Assen Weltschev mit Tinte bekleckert hatte. Seine Sehnsucht, etwas Schmutziges zu tun, war so heftig, dass er sich um zehn Uhr abends bei Mariana Ilieva meldete und sie für sofort auf ein Treffen ins schäbige Halbdunkel des Hotels Rhodopen einbestellte.
    Als er Zimmer 505 mit seinem ewigen Geruch nach menschlicher Ausdünstung betrat, hatte Mariana sich schon gehorsam ins Bett gelegt, bis zum Kinn zugedeckt und auf ihn gewartet. Ihre grünen Augen waren voller Bitterkeit und Hunger, der bitteren Furcht jeder betrogenen Frau, dem sehnsüchtigen Hunger, er möge ihr wenigstens Schmerz zufügen. Sein Abbild im Spiegel zeugte von Gram, ja, der Eindruck eines von Scham und Schuldgefühlen zerfressenen Mannes war vollkommen.
    Â»Wir müssen ernsthaft reden«, begann er zögerlich.
    Mariana stöhnte auf.
    Â»Ich muss dir etwas Wichtiges sagen, das uns betrifft, verstehst du?«
    Â»Nicht doch, Liebster!« Panik hatte sie ergriffen. Sie versuchte, ihn zu bremsen, suchte Schonung, wie man einen verlorenen Haustürschlüssel sucht.
    Â»Nun zieh dir doch etwas über, so nackt lenkst du mich nur ab.«
    Erneutes Stöhnen. Unbewusst rieb sie sich die Wangen, tat aber, wie ihr geheißen. Ihre Ankleide zog sich hin, ein verführerischer Striptease in umgekehrter Richtung mit ihrer Traurigkeit als besonders laszivem Element. Das war geradezu pervers. Ihre atemberaubende Figur verschwand mitsamt der Ausstrahlung einer bestraften Göttin in schwarzer Spitzenunterwäsche, in dieser Ansammlung raffinierter Verhüllungskleinigkeiten, die die Frau zu einem Geheimnis machen und den Mann zu einem Voyeur voll wachsenden Begehrens. Mit geübtem Griff richtete sie ihre Strümpfe, schlüpfte in ihr Kleid, dann in ihre Schuhe. Als sie fertig war, setzte sie sich ihm gegenüber auf den gepolsterten Hocker. Christo spülte zwei Gläser aus, füllte sie zu einem Viertel mit Whisky und forderte sie, ohne mit Wasser oder Eis zu verdünnen, dazu auf, ihr Glas in einem Zug zu leeren. Sie war sicher, dass er ihr nun vorschlagen würde, sich zu trennen. Christo sah mit Wohlgefallen, wie das Entsetzen in ihre Augen stieg.
    Â»Ich hab dich hergerufen … mir erlaubt, dich zu stören, weil … ich kann nicht ohne dich. Ich liebe dich!«
    Seine Lüge war derart überzogen, dass Mariana unter ihrer und der Einwirkung des Whiskys taumelte. Sie sackte vom Hocker vor seine Füße, und als sie dankbar zu ihm aufschaute, rannen Tränen über ihre Wangen.
    Doch auch dies genügte nicht. Seinen Frieden fand er erst drei Tage später, als er zum Zeichen der dankbaren Verbundenheit einen kleinen, neckischen Spitzelbericht über Minister Sdravkov schrieb. Als er sein bissiges Meisterwerk in der staubigen Ungelüftetheit der Kontaktwohnung auf der Biglastraße an Major Petrov übergab, dachte er hämisch: Hehe, bedaure sehr, Genosse Minister, aber – c’est la vie!
9
    Das Verheerendste aber widerfuhr ihm im letzten Sommer, plötzlich,

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