Seelenasche
Guten.«
»Ich hab ein Recht, ihn zu lieben, aber keines, ihn von seinen Kindern zu trennen.« Sie zuckte in einer plötzlichen Eingebung zusammen und fuhr fort: »Oder ich liebe jemanden ganz anderes, an den ich nicht mal zu denken wage.«
Sie schwiegen. Leichter Wind ging seufzend durch die Wiese. Ein Kuckuck meldete sich.
»Da wage ich nicht mal dran zu denken â¦Â«, wiederholte Dessislava versonnen und fasste sich mit beiden Händen an den Kopf. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen, bitter und vergeblich, und wandte sich ab.
»Warum hast du denn dann geheiratet, Dess?«
Gott sei Dank, ihr Bruder hatte nichts bemerkt.
»Seelenpein ist doch out , veraltet, eine Marotte aus der Zeit der feinen Familien. Der moderne Mensch macht sich das Leben angenehm und schön!«
»Ich werde eine treue Ehefrau sein.«
»Da bin ich mir sicher, aber das wird nur dir genügen; ihr seid aber jetzt zu zweit.«
»Meinst du nicht, dass ich eine gute Gefährtin sein kann? Sooo schlecht bin ich doch gar nicht, oder?«
»Natürlich kannst du das, Dess.«
Sie spürte, wie die Angst ihre Schlinge um ihre Gedanken legte und langsam zuzog. Aber warum hatte sie Angst? Und wovor?
»Ich wollte was ganz anderes sagen ⦠Ich hab so eilig geheiratet, weil ich es nicht ertragen könnte, mich auf eine stürmische, wahre Liebe einzulassen, die dann kläglich vor die Hunde geht und mit einer schrecklichen, aber genauso wahren Trennung endet.«
»Die Leute trennen sich doch immer!« Das Gesicht ihres Bruders verkrampfte sich, als hätte er einen unsichtbaren Hieb abbekommen. »Alle, die ich kenne, wollen frei sein! Ich wollte das nicht. Bin wohl sehr altmodisch â¦Â«
»Quatsch! Nun halt aber mal an dich!«
»Tu ich doch. Als ich klein war, hab ich zu jeder jungen Frau, die mir gefiel, âºMamaâ¹ gesagt, weil ich halt dachte: Das ist sie! Das Schlimme für Jana ist, dass sie ihre Mutter wirklich kannte, Erinnerungen an sie hat. Schon darum werde ich an mich halten!«
»Und was gedenkst du, für Jana zu tun?«
»Ich schmeià den Krempel beim Fernsehen hin!«
»Du?«
Dessislava hatte keine Zeit, sich die Tragweite seiner Worte klarzumachen; aber sie empfand groÃe Erleichterung. Auf einmal kam es ihr ungeheuerlich vor, ihren Bruder auf dem Bildschirm zu sehen mit seinem süÃlichen Lächeln und seiner vertraulich sich gebenden Unbelangbarkeit.
»Oma hat mal gesagt, alle Männer aus unserer Sippe würden jemanden umbringen«, fuhr Jordan leise fort. »Offenbar hat sie recht.«
»Nun mach dir mal keine Vorwürfe, du bist ja nicht schuld.«
»Ich mach mir keine Vorwürfe, aber ich muss einfach etwas abstreifen von mir. Der Runde Tisch steht mir bis hier oben, und ich hab es satt, immer den Glücklichen zu spielen!«
Die Federwolken über dem Gebirge kämmten das Sonnenlicht. Fein wie Zigarettenrauch stieg Dunst über den weiten Wiesen auf. Dessislava hatte das Gefühl, die Erde atme aus. Alles ringsumher war so sauber und unberührt, ein von ferner, unbegreiflicher Hand gestrickter Pullover aus Natur.
»Kann ich dir mit irgendwas helfen?«, fragte ihr Bruder unerwartet.
»Aber du hast mir doch schon geholfen«, antwortete sie, »weil ich dir alles sagen konnte.«
20
Es war die Stunde jener süÃen Schwäche, in der Tag und Nacht sich begegnen. Die Landschaft stand stille, die Birken schimmerten in der Dämmerung, ihre Ãste schienen schwer an ihrer Unbeweglichkeit zu tragen; selbst die Grillen schwiegen. Die Natur ging schwanger, noch unsichtbar und lautlos, nur Zeichen, nur Möglichkeit des Kommenden, aber schon so spürbar, dass sie ihn tief beeindruckte. Es roch schwer nach Gräsern und Kräutern, nach aufgeheiztem Stein, nach Anbeginn.
»Ich höre«, sagte Jordan.
Assen seufzte. Er hatte seinen Sohn zu sich gerufen, um mit ihm zu reden. Schon den zweiten Monat taten alle so, als wäre nichts geschehen, und das bereitete ihm groÃe Sorgen. Dieses allseitige Beschweigen von Nedas unglücklichem Tod war doch unmenschlich, unsinnig, und vor allem: alles andere als das, was man sich unter ehrendem Angedenken vorstellen mochte. Aus eigener Erfahrung wusste Assen, dass reden musste, wer litt, damit er Trost und Linderung fand, weil der Schmerz nur so lange Macht über uns hat, wie wir ihn nicht mitteilen. Nur mit Worten konnte man
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