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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Kummer, Gram und Leid mildern, wie auch jedes andere Gefühl, denn beim Erzählen durchlebte man das Geschehen wieder und wieder, und mit jeder Wiederholung verwischten dessen scharfe Konturen mehr – bis hin zur völligen Unkenntlichkeit des Vergessens. Zudem hatten Worte die Eigenschaft, uns wenigstens die Illusion zu geben, dass wir das Unerklärliche begriffen, und halfen uns dadurch, wieder ins Lot zu kommen.
    Wie sollte er nur beginnen? Der Gedanke an Neda hemmte ihn. Ihr Verhalten war Assen ein Rätsel. Er sah wohl ihr inneres Drama, verstand es aber nicht. Sein ganzes Leben lang hatte er geglaubt, dass das Selbstopfer die erhabenste Äußerung des menschlichen Geistes sei, so etwas wie der sechste oder siebte Sinn. Das Selbstopfer beruht auf Vorstellungen, die dem Lebensganzen entstammen, es aber übertreffen im Hinblick auf die Fortdauer des Lebens. Das Leben wird gesteuert vom Egoismus der Selbsterhaltung und endet mit dem Tod; das Selbstopfer aber überwand diesen Egoismus und war dadurch ein Weg zur Unsterblichkeit. Eine Intuition sagte Assen, dass Neda sich im Grunde selbst geopfert hatte. Warum, zu welchem Zweck, mit welchem Ziel, das konnte er nicht sagen, aber es war offenkundig, dass ihr Tod ein Protest war, mit dem sie ihren zarten Widerstand bekundet hatte. Das Unwiderrufliche mochte zwar zufällig geschehen sein, aber Assen glaubte nicht mehr an Zufälle. Diese schweigsame, introvertierte Neda hatte ausagiert, was sie alle gespürt hatten und mit sich herumschleppten, aber nicht den Mut hatten, zu bekennen und auszusprechen. Er selbst hatte in seiner Jugend viel riskiert, hatte auf Menschen geschossen, die seiner Meinung nach einer besseren Welt im Wege standen. Was also hatte seine Schwiegertochter zu ändern, zu bessern versucht? Die Frage erschien ihm angemessen, aber unbeantwortbar. Ich bin offenbar wirklich alt geworden, dachte er, denn ich hab kein Gespür mehr für diese Dinge! Er zog die karierte Decke über die Knie. Ja, in letzter Zeit war ihm selbst an warmen Tagen kalt …
    Jordan wartete rauchend geduldig ab. Er sah leidend aus, hatte abgenommen. Von seiner oft ärgerlichen Aggressivität war nichts geblieben, und auch nicht von seiner Ausstrahlung des von Glück und Erfolg Verwöhnten. Assen wollte ihm helfen, ihm sagen: Vor vierzig Jahren habe ich deine Mutter verloren. Vera musste gehen, als du auf die Welt kamst. Am Anfang hab ich dich nicht geliebt – verständlich vielleicht, aber eins wusste ich: Wir müssen irgendwie überleben! Eines Tages kam Jonka aus Widin, und ich blieb allein!
    Assen litt unter dem Verlust Nedas wie ein Vater unter dem Verlust seiner Lieblingstochter. Das Schreckliche war doch, dass auch er sich schuldig an ihrem Tod fühlte, ja, waren sie nicht alle schuld an ihrem Tod?
    Plötzlich kam ihm die Erleuchtung. Der Gedanke war so überraschend und klar, so überwältigend und fordernd, dass er ihn wie einen Lichtstrahl empfand.
    Â»Bitte, ruf mir Emilia her und lass uns dann allein«, wandte er sich an Jordan, »ich glaube, ich muss unbedingt mit ihr reden!«
21
    Sie saßen auf der Veranda unter der Markise und warteten zum Mittagessen auf die Sotirovs. Der Tisch war schon gedeckt, die weiße Tischdecke strahlte. Die Männer hatten sich einen Wodka eingegossen, Dessislava trank verdünnten Himbeersirup. Es war so heiß, dass der Himmel völlig ausgebleicht über dem flimmernden Grün stand. Nur unten im schattigen Tal zwitscherten die Singvögel.
    Â»Wisst ihr, was euer Vater und ich gestern beschlossen haben?«, fragte Emilia unerwartet.
    Â»Nein«, antwortete Jordan an ihrer Stelle.
    Â»Dass es eigentlich Schwachsinn ist, uns scheiden zu lassen.«
    Dessislava sah, wie in allen Mundwinkeln ein gequält-theatralisches, aber feierliches Lächeln sich Bahn brach, sogar bei sich selbst, so als beobachte sie sich von außerhalb. Das machen sie nur wegen Jordan, dachte sie, oder etwa … Mit wachsender Verblüffung ließ sie den Gedanken zu, dass sie es vielleicht doch für sich selbst taten! Seit Neda nicht mehr war, hatte jeder von ihnen etwas an sich verändert, oder musste auf jeden Fall etwas revidieren und neu für sich entscheiden.
    Â»Und ich wundere mich, wieso mir seit dem frühen Morgen so nach Trinken zumute ist«, lachte Jordan.
    Â»Tja, das ist schon irgendwie komisch … schön komisch, dass wir alle wieder vereint

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