Seelenasche
Ewigkeit versprach. Sie erinnerte sich an Jonkas erstaunlichen Schlummer, in dem sich einhundert Lebensjahre verschränkten, doch genau diese Worte waren ihr vollkommen entfallen gewesen. Wie hatte sie nach ihnen gesucht, wie nach einer rettenden Zauberformel oder dem Ausgang aus einem Labyrinth. So wie das ganze Leben ihrer GroÃmutter, so waren auch diese ihre Worte dazu bestimmt, zu verbinden .
»Liebes, möchtest du, dass wir beide nicht mehr lügen? Hier, sieh mal, ich schwöre.«
»Na gut, schwör ich auch.«
»Also gut denn: Mama kann nicht mehr zu uns kommen, weil sie gestorben ist!«
»Und warum ist sie gestorben?« Der Bogen ihrer Stupsnase schien noch weiter nach oben zu zeigen vor Neugierde. Dessislava war schon wieder drauf und dran, sich etwas Verschwommenes, aber Wunderschönes auszudenken, beherrschte sich aber. Sie fing einfach auch an zu weinen. Die beiden »Verschwörerinnen« nahmen sich in den Arm und spürten, wie ihr Leid zu flieÃen begann, von der einen zur anderen, von der anderen zur einen. Sie löschten das Nachttischlämpchen. Ãber ihnen schimmerte mystisch die weiÃe Zimmerdecke.
»Jetzt heiratet der Papa sicher irgend so eine schöne affektierte Tussi, was?«
»Das glaub ich nicht, Liebchen.«
»Und du heiratest dann auch.«
»Niemals«, widersprach Dessislava.
Dabei hatte sie doch erst vor ein paar Minuten geschworen, nie mehr zu lügen.
19
Sie gingen auf dem Weg, der von Simeonowo nach Shelesniza führte. Unter ihnen die Wiesen am Hang, die Umrisse ihres Wochenendhauses. Junger Nadelwald verschattete die Landschaft vor Sofia, das eingehüllt dalag in schmierig-braunem Smog. Die reine Luft hier oben berauschte einen. Der Weg führte vom sonnenbeschienenen Hang in die kühle Geborgenheit des Waldes, ab und zu unterbrochen durch Wildwiesen, auf denen die Grillen ihnen um die Waden spritzten, als trampelten sie durch Pfützen. Der Tag war warm, der Sommer müde und verbraucht, die Sonne trug Blattgold auf. Es roch angenehm nach Gräsern, die, abgeknickt, ihre Essenzen verströmten, und einem Hauch Verwesung.
Jordans entblöÃter, immer noch muskulöser Oberkörper schimmerte weià im Licht, so ohne offizielle Kleidung sah er jünger aus. Dessislava konnte sich des Gedankens nicht erwehren, dass er wohl nach zwei, drei Jahren wirklich wieder heiraten würde, und das schmerzte sie. Sie fühlte sich belogen. Sie setzten sich in die aus frischen Nadelholzbohlen zusammengenagelte Laube. Auf einer der Sitzbänke hatte ein gewisser Dani schon mit dem Messer die mathematische Gefühlsgleichung hinterlassen: Dani + Maria = LOVE .
»He«, rief Dessislava ihm zu, »weiÃt du eigentlich, dass ich geheiratet hab?«
Jordan brauchte eine Weile, bis er aus seinen Gedanken fand. Dann starrte er sie misstrauisch an und sagte:
»Hör doch mal auf zu lügen! Deine Luftschlösser sind ja unterhaltsam und unschädlich, aber manchmal hat man einfach die Schnauze voll davon.«
»Ich schwöre bei GroÃmutter, dass ich nicht lüge und nie wieder lügen werde!« Sie wühlte in der Hosentasche ihrer Jeans, holte ihren Personalausweis heraus und öffnete ihn auf der Seite »Familienstand«. Sein Zucken verriet, dass Jordan ihr glaubte; aber er sagte kein Wort. Ein leichter Wind strich über den Bergkamm, der Nadelwald bekam Gänsehaut.
»Na dann: Glückwunsch«, warf er hin. »Welcher Pechvogel ist denn dein Auserwählter?«
»Du kennst ihn. Er kommt in letzter Zeit oft zu uns. Nächstes Jahr macht er seinen Abschluss an der Schauspielakademie. Ein intelligenter Typ mit groÃem Schauspieltalent, nur â zwei Dinge fehlen ihm: ein Händchen fürs Praktische und Unterstützung. Na ja, er hat keinerlei Beziehungen.«
»Dann fehlt ihm also so gut wie alles. Ãbel, übel, begabt zu sein, aber unpraktisch; mit dem Umgekehrten kommst du weiter!«
»Freust du dich nicht ein bisschen für mich?«
»Willst du das denn überhaupt?« Ihr Bruder setzte ein Lächeln auf, und sofort sah er bedrückt und gealtert aus. »Liebst du ihn, Dess?«
Diese hinterhältige Frage hatte sie kommen sehen. Sie nahm sich eine von Jordans Zigaretten.
»Lieben tue ich jemand anderen, aber der hat drei Kinder und auch sonst einen Haufen Probleme.«
»Tja, vier Kinder wären für einen Mann wirklich zu viel des
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