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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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lesen, die – schweißüberströmt und stumpfsinnig geworden – ausgetrocknet wie gesprungene Erde wirkten.
    Krum war so aufgekratzt und von sich und seiner Mission überzeugt, dass er vom Bahnhof zu Fuß in kaum zwanzig Minuten das Parteigebäude im Zentrum erreichte. Und da geschah etwas Unerhörtes: Das Schicksal des Vaters wiederholte sich im Sohn in so provozierender Ähnlichkeit, als hätte jemand die Zeit um fünfunddreißig Jahre zurückgedreht. Nur dass sein Vater damals mit seiner Unbeugsamkeit im Nacken und seinem ganzen Hausrat auf dem Maultier zu Fuß nach Widin gekommen war, er aber mit seinem verletzten Gerechtigkeitssinn mit dem Zug nach Sofia. Der Alte brachte unter seiner ledernen Landvermesserjacke seine ganze Opferbereitschaft mit, um dem Sozialismus zum Sieg zu verhelfen; der Junge aber kam im Gabardine-Anzug, um zu verhindern, dass dieser vollends sein Gesicht verlor. Krum Krumov selbst dachte natürlich nicht im Geringsten an so etwas. Er stürzte in seiner Angst, zu spät zu kommen, schlicht und einfach außer Atem, aber beseelt, festlich gestimmt von seiner guten Absicht, so wie er war, mit der Korbflasche Wein, die er seinem Onkel Assen immer mitbrachte, wenn er dort übernachtete, in den Eingang zum Zentralkomitee mit dem Schild »Passierscheine«. Es war ein rührendes Bild.
    Harsch, aber korrekt wurde er gefragt, wer er sei, zu wem er wolle, und in welcher Angelegenheit. Er erklärte, er heiße Krum Krumov Marijkin und komme »geradewegs aus Russe« und wolle den Leiter der Sektion Ideologie sprechen, in Sachen Luftverschmutzung in Russe. Hinter dem Schalter aus massivem Edelholz saßen ein Ziviler, der auf einem Zahnstocher herumkaute, ein Offizier mit verschwitzter Stirnglatze und zwei Milizionäre. Der Ventilator knatterte wie ein Traktor, rührte die Luft um wie schweren Teig mit ein paar Fliegen als Rosinen, kühlte aber nicht. Der Zivile telefonierte lange und angestrengt mit jemandem, wonach er dem Einlass Suchenden mit der mürrischen Visage eines Menschen in Machtstellung, dem so ein ungebetener Irgendwer nicht mal Zeit lässt, sich die Zähne zu reinigen, mitteilte, dass man in der Sektion über die Problematik in Russe bestens informiert sei und man rasche und effektive Maßnahmen ergreifen werde. Man danke ihm für den Ausdruck seiner Besorgnis und wünsche ihm eine gute Heimreise.
    Â»Aber ich komme geradewegs aus Russe und wollte mit dem Genossen …«
    Â»Der Genosse ist beschäftigt«, blaffte ihn der Zivile an. Beinahe wäre ihm der Zahnstocher aus dem Mund gefallen.
    Â»Dann warte ich eben«, erwiderte Krum eifrig.
    Mit dem Gefühl, dass er keine Zeit zu verlieren hatte, ließ er sich auf die gepolsterte Sitzbank fallen und verharrte reglos so. Bald beachtete ihn niemand mehr. Gegen sechzehn Uhr teilte man ihm mit, man habe über die Dienstleitung erfahren, der Genosse Paschov müsse nun in eine Sitzung.
    Â»Oh, machen Sie sich keine Sorgen, ich warte«, antwortete Krum lächelnd, nickte verständnisvoll und schloss die Augen. Telefone schrillten. Menschen kamen herein, Menschen gingen hinaus. Das alles störte ihn nicht. Er nickte ein.
    Â»He, Genosse, bist du nicht schon völlig verspannt?«, grinste der Offizier säuerlich.
    Â»Och, danke der Nachfrage, aber mir ist bequem so.«
    Â»Bequem hin, bequem her, aber das ist kein Wartesaal hier«, meinte der Zivile, der längst beim nächsten Zahnstocher angelangt war.
    Â»Und was ist es dann?«
    Â»Seh sich einer diesen Querkopf an!«
    Â»Hat man so was schon mal gesehen?«, fragte einer der Milizionäre verdattert und schlürfte Kaffee aus seinem Plastikbecher. »Sollen wir dir vielleicht Bettzeug bringen und ’n Kopfkissen für die Nacht?«
    Â»Den Schlafanzug nicht zu vergessen«, lachte der Zahnstocher.
    Der Offizier, ein Major, kam aus dem Schalterraum und fächelte sich dabei mit einer Aktenmappe Kühlung zu. »Dossier« stand auf der Mappe. Er beugte sich über Krum mit einer Art geduldigem Ekel, so als wolle er sich seinen Schweiß an Krums Krawatte abwischen.
    Â»Mach dich vom Acker, hörst du? Das geht hier so nicht. Du bist beim ZK, da arbeiten die Leute!«
    Â»Ich sagte ja, ich warte gern, bis der Genosse Paschov Zeit hat.«
    Â»Du kannst woanders warten. Geh in die Markthallen, da sind gerade Oliven reingekommen, oder such dir eine

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