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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Milizionäre. Auch er erkannte Krum Krumov wieder, denn er nahm Haltung an und klopfte seine Uniform ab. Sie rauchten. Die Demonstration ging weiter. Grollend, unversöhnlich, brodelnd und gefährlich friedlich, dabei pulsierend wie eine überlastete Ader und aufgekratzt wie eine stark juckende Wunde. Noch brachte das hier allen Erleichterung, einte sie, ihre Hoffnungen und Träume, trug aber auch schon den Keim künftiger Teilung des Volkes und einer Zukunft, in der es keine Gemeinsamkeiten mehr gab. Vielleicht machte das ja die Anziehungskraft dieser aus Tausenden von Kerzen atmenden Feuerblume aus, die die Nacht erhellte.
    Â»Sie haben hier sicher zu tun, was?«, fragte der Leutnant mit jener Hast, die schneller sein will als die Aufmerksamkeit der Unbeteiligten, nahm seine Polizeimütze ab und kratzte sich am Kopf, bevor er das Siegel seiner Macht wieder überstülpte und bis auf die Augenbrauen in die Stirn zog. »Ich bin hier nämlich auch quasi … Na ja, Sie sehen ja, Dienst ist Dienst.«
    Krum zog an seiner Zigarette. Die Angst beider Männer wuchs, verursachte gegenseitige Anziehung, aber auch Abstoßung, denn – es war nicht dieselbe Angst!
    Â»Ich bin fix und fertig«, sagte Krum leise, fast linkisch, »streich hier seit Mittag um die Häuser.«
    Â»Schau an, schau an, wie interessant«, zuckte der Leutnant zusammen, »und heißen Krum, genau wie ich.«
    Â»In diesem Mietshaus«, wies Krum diffus auf die heruntergekommene Fassade im Rücken des Milizionärs, »wohnt mein Onkel, Alexander Weltschev. Der ist Professor, hat den Lehrstuhl für Römisches Recht an der Universität Sofia inne … Wollte eigentlich meine Tante besuchen, Tante Ljuba.«
    Er warf seine aufgerauchte Zigarette fort, trat die Glut aus und machte, dass er davonkam, denn die Ängste der beiden Männer stiegen ins Unerträgliche.
4
    Das kühle Halbdunkel des Treppenhauses, der ach so bekannte Geruch nach gekalkter Wand und gewischtem Mosaikfußboden, sein nervöses Verstummtsein – er gab sich einen Ruck und drückte den Klingelknopf. Nicht lange, und die Tür öffnete sich. Auf der Schwelle stand seine Tante Ljuba mit ihrem verlegenen Lächeln, dem Ausdruck des für immer auf seine Schuldgefühle festgenagelten Menschen. Gerade dies gab ihrer Weiblichkeit eine so anziehende, unverfälschte Natürlichkeit, gaben die permanenten Schuldgefühle ihr doch nie die Möglichkeit, auf ihre Wirkung zu setzen. Sie trug einen dunklen Morgenmantel, so als habe sie jemanden zu betrauern.
    Â»Ja, Krum …« Sie konnte ihre freudige Überraschung nicht verbergen. »Komm doch herein, mein Lieber. Musstest du lange klingeln? Alex und ich sind wohl taub geworden!«
    Krum beugte sich zu seinen Schuhen herab, um den angesammelten Dreck, die Müdigkeit und sein ganzes soeben durchlebtes emotionales Fegefeuer von sich abzustreifen, doch seine Tante bremste ihn, wie immer. Seit Jahren übernachtete er, wenn er in Sofia zu tun hatte, entweder hier bei seiner Tante oder bei seinem Onkel Assen Weltschev. In letzter Zeit hatte sich die Zahl ihrer Begegnungen jedoch noch erhöht, weil sich herausstellte, dass sie Gesinnungsgenossen waren, sich für ein und dieselbe Sache einsetzten, die aufgrund der höchst unsensiblen Einmischung der Staatssicherheit immer mehr die Züge einer Verschwörung annahm.
    Nachdem er sein Ingenieursstudium abgeschlossen hatte, wollte Krum nach Widin zurückkehren, wo man ihm einen Arbeitsplatz im Werk für Autoreifen versprochen hatte; plötzlich aber wurde er nach Russe eingeteilt und musste sich wohl oder übel fügen. Die Stadt gefiel ihm mit ihrer Jugendstil-Atmosphäre, und auch die Arbeit im Werk für Landmaschinenbau sagte ihm zu. Dort freundete er sich mit einer Ingenieurskollegin an, einer geschiedenen, gutaussehenden Frau, die eine dreijährige Tochter hatte. Im Werkswohnheim lagen ihre Unterkünfte einander direkt gegenüber, was ihre spontane, ungetrübte und vollkommen platonische Beziehung erleichterte. Gergana kamen sie da schon zu den Ohren raus, diese ewigen Einladungen ins Restaurant oder auf Partys von Männern, die sie ins Bett bekommen wollten, und Krum hatte seine Junggeselleneinsamkeit, das Starren auf die Donau, so erhaben dieser Anblick auch sein mochte, und sein Ungeschick am Kochherd satt. Also kaufte er ein und Gergana kochte, und zwar phantasievoll

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