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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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durch jemand anderen ersetzt und ihn aus allen künstlerischen Beiräten für Film und Theater entfernt. Seit langem hatte er kein Stück mehr am Volkstheater inszeniert, nun hatte er seltsame Ähnlichkeit mit einem pensionierten Oberst, dem nur sein Wochenendhaus in der schönen Talenge des Flusses Isker oberhalb von Sofia geblieben war. Seinen fünfzehn Jahre alten Pkw der Marke Moskwitsch konnte man wohl schwerlich unter die Vermögenswerte rechnen. Dafür hatte sich seine Prostata vergößert und machte ihm das Wasserlassen zur Qual. Wie sie ihn so ansah, tat er ihr richtig leid. Sah so ihre Vergangenheit aus? Auch sie hatte seit zwei Jahren keine neue Bühnenrolle mehr bekommen, nicht einmal eine Nebenrolle. Die junge Generation hatte alles an sich gerissen, verfügte über Rollen und Repertoires mit jener unbekümmerten Frechheit, die nur mangelnder Erfahrung eigen ist.
    Inzwischen hatte Theo sie bemerkt. Er winkte ihr mit seinen kurzen Patschhändchen. Zwei Kaffee und ein Stück Garasch-Torte hatte er schon bestellt. Als die Offiziere sahen, dass Emilia ausgerechnet zu diesem Hutzelmännchen ging, verschlug es ihnen erneut die Sprache. Wie konnte eine solch glanzvolle Berühmtheit sich zu so einem … Sie war reichlich sauer auf ihn, eigentlich auf ihre eigene, an diesem Morgen getroffene Entscheidung. Sie beeilte sich also, noch bevor er sie fragen konnte, sein allzu glückliches Lächeln ein wenig zu trüben.
    Â»Assen hat abgelehnt«, brachte sie mühsam heraus und setzte sich auf den unbequemen Stuhl ihm gegenüber.
    Â»Was hat er abgelehnt?«
    Â»Unser Haus in Simeonowo zu verkaufen.« Sie nahm einen Schluck Kaffee, setzte die Tasse ab und entzündete sich dann mit mondäner Geste eine Import-Zigarette. »Er meint, er könne sich unmöglich davon trennen. Er fiel regelrecht aus allen Wolken, als er hörte, dass du einfach so dein Haus in Boyana veräußert hast.«
    Â»Ich hatte ja keine Wahl! Wie soll ich denn von der einen Rente leben?« Theo machte nicht einmal den Versuch, seine Enttäuschung darüber zu verbergen, dass er eben doch nicht Gott, sondern bloß Ikarus gewesen und nun aus allen Himmeln herabgestürzt war ins Meer der Bedeutungslosigkeit.
    Â»Trotzdem …«
    Emilia hatte es nicht eilig, ihn zu erfreuen. Sie versuchte ihre Torte. Kaum Schokolade, und nicht mehr als ein Hauch von Marzipan. In dieser Zeit fehlten die Dinge entweder völlig, oder sie waren von höchst zweifelhafter Qualität. Die Geschäfte gähnten leer. Wie mit dem Zauberstab war alles verschwunden, von den Seidenstrümpfen bis zur Wurst, von der Unterwäsche bis zum Schweinefleisch. Und mit den Waren jede Sicherheit. Der Kurs des Dollars kletterte täglich weiter auf ungeahnte Höhen und entwertete die in bulgarischer Währung angelegten Ersparnisse der Menschen. Emilia hatte bereits die Hälfte vom Wert ihrer Rücklagen verloren und musste dringend etwas unternehmen, aber was? Ihr tat alles weh, die Zähne, der Rücken, und dazu kam auch noch die leidige Migräne.
    Â»Trotzdem – was?«
    Theo schaute wie ein ausgehungerter Straßenköter, als ein Stück Torte in ihrem Mund verschwand.
    Â»Ich werde halt mein Geld von der Sparkasse abheben; das ist ja nicht wenig …«
    Â»Du bist genial, Schwesterherz«, fasste Theo Mut und begann sofort, sich wieder aufzuplustern, »eine echte Freundin, eine wahre Donna assoluta!« Seine Stimme wurde näselnd vor Erregung. »Wie viel ist es denn?«
    Â»Nach dem aktuellen Tageskurs würde ich für meine Spareinlagen so um die fünfzehntausend Dollar bekommen.«
    Emilia hatte ihre Berechnung anhand der Change-Offices vorgenommen, die derzeit wie Giftpilze aus dem Boden schossen. Theo war enttäuscht.
    Â»Das ist nicht viel, wenn man bedenkt, wie viele Rollen, wie viele Jahre du dafür gespielt hast. Gut, dass ich mein Wochenendhaus rechtzeitig verkauft habe.«
    Â»Glückspilz!«
    Sie hatte ihre Spareinlage in der Hauptfiliale der Sparkasse. Das Marmorfoyer war schmutzig und heruntergekommen, strahlte aber trotzdem die Würde eines Gotteshauses aus, vielleicht des Gottes jener Banknoten, auf denen stand: »In God we trust«. In der Tat roch es drinnen nach frischen Geldscheinen. Und nach Menschen, die trockneten. Die Schlangen vor den Schaltern waren zum Verzweifeln lang, besonders nervöse Kunden gingen auf

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