Seelenasche
einfach orientierungslos. Am Slawejkov-Platz bewegten sie sich bereits im Laufschritt. Atemlos. Schwindlig. Berauscht von der Droge Unersättlichkeit, der Einsamkeit ihrer Gier, dem Lebenshunger ihrer Hoffnung. Dabei fühlte sich vor allem Emilia seelisch völlig am Boden zerstört und todunglücklich.
Die Büroräume der Firma Lucky Strike & Co. befanden sich auf der vierten Etage eines Mietshauses ganz in der Nähe der Schauspielakademie. Der Eingang war bepinkelt von herrenlosen Hunden und Herren, die auf den Hund gekommen waren. Sie nahmen den Aufzug, in dem es nach Holzlack roch und nach Eintopf. Das alte Ding arbeitete sich derart knarrend und quietschend empor, dass Emilia Angst hatte, sie würden stecken bleiben. Die Tasche mit dem Geld war unerträglich schwer. Ihre Augen waren feucht; aber das waren doch keine Tränen!
Die gepanzerte Tür zu den ehemaligen Wohn-, nun Büroräumen des glücklich machenden Finanzinstituts war mit brauner, feuerfester Farbe gestrichen. Nach der hässlichen Tür kam Emilia das Licht in der Diele geradezu blendend und vornehm vor, so als dränge es nicht durch die groÃen Fenster, sondern käme aus einem Flutlicht. Im eigentlichen Büroraum prangten drei Schreibtische mit gewaltigen Computern, die den Eindruck finanzieller Stabilität erweckten, maÃvollen Luxus und vernünftiger Investition. Hinter den eingeschalteten Bildschirmen saÃen schöne Blondinen mit Kurzhaarschnitt, die alle drei die gleiche Bluse mit Jabot-Krägelchen trugen. Sie vermittelten Geschäftskenntnis und Diskretion. Das kreisrunde Spitzenkrägelchen unterstrich ihre prosperierenden Brüste. Die schmale Wandseite war mit einer Fototapete beklebt, die Mona Lisa zeigte, durch ein spezielles Computerprogramm aus Hundert-Dollar-Noten zusammengesetzt.
»Ja, Herr Sotirov! Ich freue mich, Sie wiederzusehen«, rief eine der drei Grazien. Dann, nachdem sie Emilia eingehend gemustert hatte: »In Gottes Namen, das kann nicht wahr sein, aber ⦠wenn mich mein Auge nicht täuscht â das ist ja die unnachahmliche Weltscheva, Emilia Weltscheva höchstpersönlich!«
Emilia, von Berufs wegen geübt in der Gefühlsdarstellung, lächelte die Angestellte über ihre hilflosen Tränen hinweg freundlich, sogar munter an.
»Also auch Sie haben sich entschlossen, uns Ihr Vertrauen zu schenken? Welche Ehre für Lucky Strike & Co. Der Genosse Milanov wird es nicht glauben, wenn ich ihm das erzähle.«
Dieses Durcheinanderkommen mit Herr und Genosse war zwar in diesen Monaten nicht unüblich, aber an diesem Ort kapitalistischen Gebens und Nehmens wirkte es doch sehr seltsam. Die Damen an den benachbarten Schreibtischen zuckten jedenfalls heftig zusammen und zogen vor Unbehagen ihre Röcke zurecht. Im Dienste der geschäftlichen Seriosität waren es lange Röcke, aber für lange Beine. Emilia lieà den Riemen ihrer Tasche von der Schulter gleiten und verspürte nun am eigenen Leib die prosaische Bedeutung der Sentenz »Reichtum wiegt schwer«. AuÃer den Computern war die Schalterhalle von Lucky Strike & Co. auch mit einer elektronischen Geldzählmaschine ausgestattet. Dergleichen hatte Emilia noch nie gesehen. Dieses Gerät blies sämtliche Banknoten, die sich in ihrer Tasche befunden hatten, in wenigen Minuten durch. Die gezählten Bündel wurden feierlich von der rechten zur linken Seite des Schreibtisches geschoben. Theo strahlte triumphierend, als sei gerade eine seiner Premieren über die Bühne des Volkstheaters gegangen. Mit geübten Griffen und unter Verwendung eines Taschenrechners wurde Emilias Einzahlbetrag auf 15.283 Dollar errechnet. Mit unerklärlichem, aber wachsendem Unbehagen unterschrieb Emilia sämtliche Dokumente, die ihr vorgelegt wurden. Inzwischen kam Kaffee. Sogar ein echter Cognac wurde ihnen angeboten, doch Theo und sie lehnten dankend ab. Die junge Frau, die sie bediente, hieà Olga.
»Aber ich bitte Sie, Frau Weltscheva, natürlich nennen Sie mich einfach Olga. Ich hoffe doch sehr, dass wir häufig Anlass haben werden, uns zu sehen.«
»Mit ihrer Bekanntheit und dem Respekt, den sie genieÃt«, mischte sich Theo ein, »wird Frau Weltscheva dem Finanzinstitut Lucky Strike & Co. mit Sicherheit mehr als sieben Neukunden zuführen.«
9
Der neue Direktor des Theaters, ein Herr Naidenov, schaute sie mit seinen verwaschenen, aber aufmerksamen
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