Seelenasche
Versammlungen immer die schärfsten Kommunismuskritiker. Also über den hat Maja mir nun erzählt, dass er ein ganz fieser IM der Stasi war. Im Radio hätte sich ein Rentner gemeldet, der früher einen hohen Rang beim Geheimdienst innehatte und erklärte, unser Maulheld der Demokratie sei damals unaufgefordert, aus eigenem Antrieb zu ihm gekommen, um seine Dienste als Denunziant anzubieten. Dasselbe gelte auch für den stellvertretenden Parteivorsitzenden der UDK, stell dir das vor!«
Christo hatte sich entschuldigt, war auf die Toilette gegangen, hatte sich einen Finger in den Hals gesteckt und Wodka mit Brot, Rindersalami, Ketchup und Mayonnaise erbrochen. Doch auch danach war ihm nicht besser gewesen. Nun schaute er Major Petrov ins Gesicht, fand darin aber nichts auÃer kalter, gut unter Verschluss gehaltener Verachtung. Er beschloss, ihm geradeheraus die Wahrheit zu sagen, und ihn auf genau diese hinterhältige Weise zu belügen. Seufzend sagte er:
»Ich liebe eine Frau, die mir sehr viel, vielleicht alles bedeutet.«
»Aber wir mischen uns doch nicht in Ihre Gefühle ein â¦Â« In Petrovs Mundwinkeln stand der Ekel.
Christo folgte seinem Blick auf den Boden, über den eine riesige, braun schillernde Kakerlake kroch. Er war versucht, sein Bein auszustrecken und sie zu zertreten. Stattdessen schwieg er beharrlich, um dem Major zu zeigen, wie schwer ihm die Entscheidung gefallen sei, wie unsäglich schwer â aber unumgänglich.
»Sie waren uns ein nützlicher Mitarbeiter, und ungewöhnlich produktiv. Ich verstehe Sie nicht. In jedem von uns muss es doch irgendwo ein Ehrgefühl geben. Meinen Sie nicht, dass wir unserem Ideal gerade auch unter veränderten Umständen treu bleiben sollten?«
»Welchem Ideal?«
»Ja, welchem Ideal ⦠Ihre Entscheidung ist also endgültig?«
»Richtig.«
»Dann haben Sie genau zwei Möglichkeiten.«
»Ich habe also Verhandlungsspielraum?«, fragte Christo, amüsiert über die angewiderte, verständnislos lächelnde Miene des Majors.
»So unangenehm es mir ist, das zu sagen, Herr Weltschev: ja. Sie sind sozusagen unser Hätschelkind. General Grigorov hat wirklich eine enorme Schwäche für Sie, die mir völlig unerklärlich ist. Ich frage mich nur: Woher kommt die?« Er hob seine Schultern zum Zeichen seiner Verwunderung.
»Ich vermute mal, er glaubt mir!«
Der dreiste Zynismus dieser Behauptung war selbst dem abgebrühten Petrov des Guten zu viel.
»Nun machen Sie aber mal ânen Punkt«, schimpfte er und schaute in einer Mischung aus Hilflosigkeit und Empörung über Christos Unverschämtheit auf die Kakerlake, als überlege er, wen zu zertreten besser sei: den einen oder den anderen Schädling. Die Kakerlake schien etwas zu spüren und stellte sich tot.
»Und was schlägt General Grigorov mir vor?«
»In die Politik zu gehen beispielsweise.« Der Major schaute bei diesen Worten Christo so prüfend an, als frage er sich, ob der sie noch alle beisammenhabe. »Bei den nächsten Wahlen könnten Sie erstmal Abgeordneter werden, und in einer der folgenden Regierungen könnte man Sie zum Minister machen. Sie hätten alle Annehmlichkeiten und Privilegien, die mit einer solchen Machtposition verbunden sind, und Sie würden auch noch populär wie dieser Vetter von Ihnen, dieser Jordan Weltschev, weil Sie natürlich auch in den Medien präsent wären. Bei der Union der demokratischen Kräfte gäbe es Leute, die Sie unterstützen würden.« Er sagte nicht, »bei der UDK haben wir unsere Leute«, aber das verstand sich in dieser Unterredung von selbst. »Sie sind jung, und mit Ihrer Intelligenz und Erfahrung im höheren Verwaltungsdienst wären Sie für jede politische Formation von hohem Nutzen. Wenn die UDK Ihrem politischen Credo nicht entspricht«, sagte er mit ironischer Betonung auf dem an dieser Stelle etwas zu hoch gegriffenen Fremdwort, »könnten Sie auch der Bewegung für Rechte und Freiheiten beitreten. General Grigorov ist wirklich ungewöhnlich groÃzügig Ihnen gegenüber, indem er Ihnen die Wahl lässt. Bitte strapazieren Sie seinen guten Willen nicht ungebührlich!«
Christo konnte es kaum abwarten, bis der Major ausgesprochen hatte.
»Mit Politik möchte ich nichts zu tun haben«, wehrte er heftiger ab als nötig, »ich bin zwar auch so schon
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