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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Schar von Scherzbolden preisgab, die ihn nach Gutdünken durchprügelten. Mutterseelenallein und mit falschem Lächeln hatte Major Petrov es sich hinter dem Schreibtisch bequem gemacht. In der einen Hand hielt er eine soeben entzündete Zigarette, mit den Fingern der anderen trommelte er auf der dunkel gewordenen Politur. Er sah kämpferisch aus wie einer, der im Kopf einen Militärmarsch hört und dazu den Takt trommelt.
    Â»Da wären wir ja, Herr Weltschev.« Er zog an seinem Glimmstengel und blies den Rauch in seine Richtung, wie um zu unterstreichen, dass seine Herzlichkeit nur ein letzter Vorschuss war, nach dem es gefährlich wurde.
    Â»Herzlich willkommen«, erwiderte Christo frech.
    Â»Machen Sie Witze?«
    Â»Auf mich selbst, ja. Sie haben mich dezent erschreckt mit dieser Lampe.«
    Â»Ohne Licht kann ich schlecht auf meine Uhr schauen. Sie sind zehn Minuten zu spät.«
    Â»Die 12 ist wegen Oberleitungsschaden an der Haltestelle ›Priesterseminar‹ stehen geblieben, und ich musste den Rest zu Fuß gehen.«
    Das Schweigen umfing sie nun so bleiern, als seien sie gekommen, um zusammen ein Nickerchen zu machen. Dann sagte der Major mit Wut in der Stimme und nur mühsam verborgenem Neid:
    Â»Ich wundere mich nur, bin regelrecht fassungslos, woher diese Schwäche des Generals für Sie kommt!«
    Â»Ich bin ihm vielleicht sympathisch.«
    Â»Zweifellos, aber gleich so sehr …«
    Â»Unerforschlich sind die Wege des Herrn … General.«
    Major Petrov musste unwillkürlich grinsen. Tat es aber überheblich, so als verstehe er die Anspielung nicht, obwohl er das sehr wohl tat. Er spielte mit seinem Feuerzeug, um Zeit für seinen nächsten Einschüchterungsversuch zu gewinnen.
    Â»Wie kommt es, dass Sie sich so urplötzlich entschlossen haben, die … freundschaftlichen Beziehungen zu uns abzubrechen?«
    Christo rauchte nun auch und schaute verträumt an die Decke. Die war gelbgrau. Wie viele Jahre hatte die eigentlich klaglos ihren Rauch geschluckt?
    Vor einer Woche hatte er Dessislava zornig angetroffen, vielleicht auch eher bedrückt, wild um sich schlagend vor Verwirrung. Sie war im Schlafanzug, lief wie angestochen hin und her und trank Wodka direkt aus der Flasche.
    Â»Weißt du«, fing sie ohne Einleitung an, »Simeon ist völlig übergeschnappt, er übertreibt’s ein bisschen mit der Demokratie, der ist regelrecht verheiratet mit der UDK. Verhält sich, als wäre er an irgendwas schuld, als müsse er irgendwas wiedergutmachen. Manchmal frage ich mich, ob er nicht für die Stasi gearbeitet hat.« Vor Angewidertsein verschluckte sie sich. »Wenn sich das als wahr herausstellen sollte, dann lass ich mich sofort von ihm scheiden, zeige ihm gleich die Tür; den Koffer reich ich ihm durchs Fenster, ja, aus der dritten Etage, ganz richtig.«
    In diesem Moment durchlief es Christo eiskalt; gleich darauf wurde ihm schlecht. Er nahm ihr die Flasche aus der Hand und trank ebenfalls direkt daraus. Der kräftige Schluck Hochprozentiger lähmte ihn einen Moment, dann gewann er die Kontrolle über sich zurück und lächelte. Breit und sorglos, als ginge ihn das gar nichts an. Großzügig. Kopfschüttelnd wie einer, der einfach nicht glauben kann, zu was für einem verwerflichen Doppelleben andere Menschen doch fähig waren!
    Â»In der Rechtsprechung gibt es einen Grundsatz, der unumstößlich ist und zumindest unser Bestreben ausdrückt, gerecht zu sein: Jeder ist unschuldig bis zum Beweis des Gegenteils.«
    Dessislava holte sich die Wodkaflasche mit einem Griff zurück, vergaß sie aber vor lauter Empörung in ihrer Hand.
    Â»Du fragst mich, warum ich ihn im Verdacht habe?«
    Â»Gar nichts frage ich dich, meine Liebe!« Sein Magen rebellierte.
    Â»Im Theater haben wir einen Kollegen … einen Schauspieler … Du kennst ihn persönlich, darum sag ich dir seinen Namen lieber nicht. Der also, bevor die Wende kam, nahm uns regelrecht den Atem mit den freimütigen Reden, die er so schwang.« Sie kratzte sich mit der freien Hand an der Nase. »Was für gepfefferte politische Witze der erzählt hat, Junge, Junge, dem fehlte nicht viel zum Dissidenten. Nach dem demokratischen Umbruch nun stand er bei den Massendemos immer ganz oben auf der Tribüne und zog aller Augen auf sich. Er gab Interviews für die UDK-Zeitung Demokratie und umarmte auf den

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