Seelenasche
unserem Hotelzimmer! Hol den Schlüssel und warte auf mich.«
Ohne seine Antwort abzuwarten, wandte Mariana sich ab und sprang die majestätischen Stufen hinab. Von hinten glich sie einer Gazelle. Sie drehte sich auch nicht mehr um, sondern zog ihren Mantelkragen noch höher. Mit der Geste eines Butlers öffnete einer der beiden schwarzen Hünen Mariana den hinteren Wagenschlag, wartete, bis sie eingestiegen war, dann zwängte er sich unbeholfen auf den Beifahrersitz.
6
Gott sei Dank, Zimmer 505 war frei. Die Rezeptionistin, ein Mädchen mit platinblond gefärbtem Haar und stählerner Zahnkrone im Lächeln, prüfte die Zehn-Dollar-Note im Licht der Tischlampe, schwankte, doch da dies vermutlich die Hälfte ihres Monatslohns war, stopfte sie sie schlieÃlich in ihren BH und reichte ihm mit säuerlichem Lächeln den Schlüssel, der an einem gewaltigen Holzanhänger in Eiform baumelte. Christo seufzte erleichtert. Seine Mitschülerin arbeitete schon lange nicht mehr hier im Rhodopen , sondern hatte mit ihrem Mann zusammen ein kleines Hotel zwei QuerstraÃen weiter gepachtet, in dem es vor Bordsteinschwalben, vorwiegend Türkinnen und Zigeunerinnen, nur so wimmelte, die den Polizisten ein Schweigegeld in D-Mark oder in natura bezahlten und ganz unverhohlen vor den Markthallen, an der Löwenbrücke oder am Bahnhof auf Kundenfang gingen.
Er nahm den Aufzug, der ihn ächzend in die fünfte Etage hinaufbeförderte. Im Zimmer herrschte dieselbe nervöse Stille wie früher, es roch noch immer nach Kakerlakengift und nach muffiger Sünde auf gestärkten Laken. Es gab nur eine einzige Veränderung. Ãber dem Bett hing eine billige Kopie der Sonnenblumen von van Gogh in einem mit vergoldeten Gipsranken auf Barock getrimmten Rahmen. Die Laken waren kühl und rein. Als er sich aufs Bett setzte, krachten sie hörbar. Christo zog den Flachmann aus seiner Jacketttasche und trank einen Schluck Whisky. Das tat gut. Er musste gleich stark sein. Das heiÃt, schonungslos. Der Tag da drauÃen war düster, die Luft, schwer und feucht und mit dem Geruch nach spätem Schnee, drang ihm bis auf die Knochen. Er zog sich aus und schlüpfte fröstelnd ins Bett.
Mariana war schon über eine halbe Stunde zu spät. Er trank einen zweiten Schluck aus dem Flachmann. Langweilte sich. Hatte das Gefühl, gleich wegzudösen. Er spähte zum Spiegel hinüber und erschrak. Wie seltsam! Auf einmal war alles genau umgekehrt. Heute wartete er ausgezogen im Bett, die Decke bis ans Kinn hochgezogen und mit dem bekümmerten Gesicht des verlassenen Kindes. Am dritten Schluck des unverdünnten Whiskys verschluckte er sich. Plötzlich kam er sich lächerlich vor, erbärmlich. Mariana würde nicht mehr kommen! Das vor dem Justizpalast war nur eine Farce gewesen, die sie gespielt hatte, um seine ohnehin wachsende Angst vor dem Treffen mit Major Petrov noch zu vergröÃern, seinem »fatalen Treffen«, wie er es bei sich genannt hatte.
Er warf die Bettdecke von sich, stand auf und begann, sich anzuziehen. Er hatte bereits seine Hose zugeknöpft, als es an der Tür klopfte. Gleich darauf flog Mariana ins Zimmer, entsetzt, auÃer Atem, und umschlang ihn mit ihrer Ungeduld, ihrem Nerzmantel, ihrem Duft nach Patschuli und nach Schwermut. Sie kam durcheinander, weil sie nicht gleichzeitig sich und ihn entkleiden, seinen Gürtel und den Verschluss ihres BH lösen konnte. Sie trug schwarze Strümpfe und rote Strumpfbänder, umschlang ihn mit der ganzen Unschuld ihrer Liebe, flüsterte ihm etwas ins Ohr, verschluckte sich wie eine Verdurstende, die an eine Quelle gelangt war und zu hastig trank.
»Mein Liebster, mein Einziger!«
Dann verflochten sich ihre Körper in gegenseitiger Stillung, bäumten sich auf in süÃem Krampf, in erhabenem Schmerz, in kommendem Leid, das noch lange ihre Nächte heimsuchen würde. In diesem Moment musste er an Dessislava denken. Sein Magen zog sich zusammen. Es ging wie ein Blitz durch ihn hindurch, wie Starkstrom. Er bekam eine neue Erektion, aber das war nicht mehr der Ãberlauf aus der Erinnerung an den Sinnesrausch von eben in neues Begehren; das war schon wieder der Wunsch, Schindluder zu treiben mit dem reif gewordenen Schmerz in ihren grünen Augen, um in diesen unglaublichen, wunderbaren Augen seine eigene Erniedrigung zu sehen. Er wusste, dass er jetzt stark sein musste, um ihr ganz
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