Seelenasche
finde, eher zu früh. In zehn Jahren könnte es für die Menschen, die über den Staat nachdenken, in dem sie leben, ein unverzichtbares Handbuch werden. Vorausgesetzt, in zehn Jahren liest noch jemand.«
Erst jetzt bemerkte er die Müdigkeit, die wie ein tiefer Schatten auf ihren Zügen lag, in den Falten um Augen und Mund, im silbern gewordenen Haar, und wurde sich bewusst, dass neben ihm eine alt werdende Frau saÃ.
»Ich wollte dir sagen, warum Alex diesen demütigenden Verriss veröffentlicht hat.«
»Vielleicht hat dein Mann diesmal ja recht?«
»Unsinn, natürlich nicht!« Sie errötete leicht vor Scham über ihren Mann. »Selbst Vater ist empört.«
Das konnte er bestätigen. Noch am selben Tag, an dem die Rezension seines Vetters im sozialistischen Wort erschien, hatte Professor Kotzev sich telefonisch bei ihm gemeldet: »Ich bin auÃer mir! Bitte sei dir sicher, dass ich mit diesem Schmutzkübel nichts zu tun habe, den dieser gemeine Hund da über dir ausgegossen hat. In dieser Lage, in die diese Kulissenschieber da oben Bulgarien gebracht haben, hätte ich nie zu einem solchen Mittel gegriffen, selbst wenn ich absolut nicht einverstanden mit dir gewesen wäre.«
Er wandte den Kopf zu Ljuba und sagte:
»Ich vermute, Alexander wollte sich damit von seiner Vergangenheit abgrenzen und den neuen Demokraten schöne Augen machen.«
»Das sehe ich auch so, aber dass er dazu ausgerechnet dich ausgesucht hat, ist infam! Er wusste nur zu gut, dass du diese Ungerechtigkeit folgenlos verstreichen lassen, sie mit Schweigen übergehen und ihm nachsehen würdest. Und dazu noch hat dein Name Gewicht und Ausstrahlung â¦Â« Ein krausköpfiger Koloss stakste auf ein Gebüsch zu, pinkelte aber nicht einfach hinein, sondern lieà seinen Strahl schweifen, als müsse er einen GroÃbrand damit löschen. Ljuba wandte angeekelt die Augen ab. »Wo war ich stehengeblieben? Ach ja, deshalb warst du für ihn einfach die ideale Zielscheibe für seine pseudomoralische Abrechnung, weil du auch noch der Unbescholtenste von allen bist.«
»Unbescholten?«
»Alex und mein Vater saÃen vor dem Fernseher, ich war in der Küche und briet Krapfen und wollte nur kurz fragen, ob sie sie mit Konfitüre oder mit Honig wollten. Ich weià nicht, was gerade passiert war, als ich ins Wohnzimmer kam, aber Alex sprang wie angestochen durch die Gegend und schrie meinen Vater an, er sei ein beschissenes Arschloch und dergleichen!«
»O Gott«, ächzte Assen, »das hat er wirklich seinem Schwiegervater und Förderer gesagt?«
»Ja, und ich konnte ihn nicht bremsen. Ich hatte den klebrigen Teig an den Fingern und war wie gelähmt. Das Gesicht meines Vaters lief erst lila, dann grünlich an, ich dachte, gleich bekommt er einen Schlaganfall. Da hörte ich schon, wie Alex die Schlafzimmertür hinter sich zuknallte und die Koffer vom Schrank holte. Ich weiÃ, dass er eine Geliebte hat, das hab ich einfach gespürt, aber ich hab auch genauso gespürt, dass er nicht zu ihr gehen wollte, sondern einfach nur weg, raus aus allem, aus der Zeit, seiner Vergangenheit, der Zukunft, raus aus sich selbst. Verstehst du?«
»Furchtbar«, sagte Assen nur.
»Gottlob hat mein Vater keinen Schlag bekommen, sondern geredet. Er hat mich gefragt, wie ich all die Jahre mit einem solchen Menschen habe leben können.«
»Und du, was hast du ihm geantwortet?«
»Ich habe ihm gesagt, dass Alex genau der Mensch war, den er aus ihm gemacht hat: opportunistisch und leicht zu formen, weil er ihn so für seine Feindschaften, Kämpfe und seinen unbefriedigten Ehrgeiz brauchte.«
»Alexander ist kein Produkt deines Vaters«, versuchte Assen ihn höflich zu verteidigen, »sondern des Systems.«
»Ja, mag sein, des Systems, aber auch meines Vaters«, beharrte Ljuba.
»Bedaure, Grund einer so unschönen Auseinandersetzung geworden zu sein.«
»Grund dafür war alles Mögliche, aber nicht du! Die verrückte Zeit, der Umbruch, die Angst vor der wahren Freiheit ⦠Der Grund lag in Alexanders Wesen selbst.«
»Und was nun?«
»Wir werden uns wohl trennen.«
Ljuba griff nach seinen Zigaretten, zündete sich eine an und sog gierig daran wie ein Kerl.
»Muss es denn gleich Scheidung sein? Auch die schlimmste Ehekrise ist immer noch menschlich, kann also überwunden
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