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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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werden.«
    Ljuba schien ihn nicht zu hören. Sie starrte unverwandt in die Richtung, in der der nächste Held in Hosen vor den Busch trat, um seine Blase zu erleichtern, doch es schien, als sähe sie durch ihn hindurch.
    Â»Weißt du eigentlich, wie viele Paare sich inzwischen aus politischen Gründen scheiden lassen«, sagte sie so verwundert, dass sie es gleichsam sich selbst noch einmal sagen musste. »Der Mann zum Beispiel hält weiter zu den Kommunisten von der BSP, die Frau ist glühende UDK-Anhängerin – oder umgekehrt. Irgendwann gehen die Diskussionen in Gezänk und gegenseitige Vorwürfe über, bis sie eines Tages feststellen, dass sie sich nicht mehr riechen können, sich bis ins Mark hassen.«
    Â»Tja, die Menschen haben in Liebe und Eintracht zwanzig, dreißig Jahre lang gelebt, Kinder aufgezogen, und plötzlich …«
    Â»Die Hälfte meiner Freunde hat sich aus diesen blöden politischen Gründen scheiden lassen.«
    Â»Man fragt sich wirklich …«
    Â»Wenigstens werden Alex und ich uns aus einem anderen Grund scheiden lassen … weil er sich ein einziges Mal erlaubt hat, zu sagen, was er wirklich denkt .«
    Schweigend beobachteten sie, wie ein Rudel Straßenhunde bettelnd um die Wagen herumstrich. Ihr Fell war zerzaust und stellenweise gerupft, ihre Augen hatten vor Hunger einen fast menschlichen Ausdruck bekommen.
    Â»Ich könnte ja mal versuchen, mit ihm zu reden«, schlug Assen delikat vor, aber seine Stimme klang auch jetzt nicht sehr überzeugend.
    Â»Danke für dein Angebot, aber das möchte ich nicht. Zwischen Alex und mir ist schon lange alles aus. Wir leben doch seit Jahren nur noch in den Ruinen unserer eigenen Kompromisse.«
    Â»Manchmal habe ich auch den Eindruck, dass das Leben eines Menschen vor allem aus den Kompromissen besteht, die er macht.«
    Ljuba holte ihren Blick aus der Weite zurück, lächelte und fuhr mit den Fingern über ihre Wangen; aber die waren trocken.
    Â»Das Leben, die Ideale, und die Lügen, in die wir verwickelt wurden, haben uns nur zwei Möglichkeiten gelassen: Wir können uns entweder nicht anerkannt und ungerecht behandelt fühlen, oder zugeben, dass wir schuldig sind! Du und ich – wir haben uns für die zweite entschieden!«
    Â»Obwohl wir eigentlich ungerecht behandelt worden sind, hm?«
    Ljuba gab ihm keine Antwort auf seine hoffnungsvolle Frage. Die Blechschlange vor ihnen setzte sich in Bewegung und rückte ganze zwanzig Meter vor, und Assen musste reagieren.
    Â»Sehen wollte ich dich aber aus einem ganz anderen Grund«, sagte Ljuba, als der Motor wieder ausgeschaltet war, beinahe flüsternd. »Es mag egoistisch sein, dich damit zu belasten, aber ich habe niemanden sonst, dem ich es sagen kann …«
    Assen schaute sie nur wartend an.
    Â»â€¦ dass ich krank bin, sehr krank.«
    Er versuchte ein aufmunterndes Lächeln, aber etwas in ihrer Stimme bremste ihn. Er fürchtete, wenn er jetzt Mitgefühl zeigte, könnte das gespielt rüberkommen, oder eben das Ausrufezeichen setzen, das die Sache unwiderruflich machte. Darum strich er ihr nur sanft über die Hand. Ljuba zuckte zusammen, als habe er ein hässliches Mal an ihrem Körper oder ihrer Seele entdeckt, für das sie sich schämte.
    Â»An Krebs.«
    Â»O Gott.«
    Â»Beide Brüste sind befallen. Und in der Onkologie haben sie kein Geld für eine Chemotherapie, also bleibt nur die Amputation. Und ich … ich hab Angst vor der Hässlichkeit, Hässlichkeit stößt mich ab, verstehst du?«
    Â»Dein Vater und ich, wir könnten dir …«
    Â»Das bringt nichts. Alles ist schon besprochen, am Montag werde ich operiert.«
13
    Nach diesem Bekenntnis wechselte Ljuba abrupt das Thema und erlaubte Assen auch nicht mehr, darauf zu sprechen zu kommen. Wie dunkler Kaffeesatz blieb ihr kummervolles Lächeln am Grunde seiner Seele haften, das von der Bitterkeit eines von Grund auf belogenen und betrogenen Menschen zeugte, für den es keinen Trost gab. Sie könnte seine Tochter sein … aber das Einzige, was er für sie zu tun in der Lage war, das war schweigen, so als habe er nichts gehört und wisse nichts.
    Sie hatten großes Glück: Das Benzin war nicht alle, als sie an der Reihe waren, und auch Strom gab es. Wie Assen geschätzt hatte, war es fünf Uhr nachmittags geworden. Die Dämmerung, die bald darauf einsetzte,

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