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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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seelische Reinheit sofort gespürt, ihren Mut, nichts als sie selbst zu sein und manchmal, wenn es darauf ankam, ein offenes Wort zu sagen, koste es sie, was es wolle. Die Sympathien waren beiderseitig, das Vertrauen restlos und ungebrochen, obwohl Ljuba sich eigentlich nur ganz, ganz selten bei ihm meldete, um seinen Rat in für sie schwierigen Lebenslagen einzuholen, Dinge betreffend, die eine Frau auch ihrer Mutter nur ungern anvertraut. Vor Jahren hatte sie ihm ihr kurzlebiges Verhältnis zu Dozent Pejtschev gebeichtet, und dass ihr Mann Alexander es herausbekommen hatte. Wie naiv ist der Mensch doch, dachte Assen, während er ihr den Wagenschlag aufhielt, träumt von ewigen Wahrheiten, ewiger Liebe, verurteilt andere zu ewiger Schuld oder hat selbst unauslöschliche Schuldgefühle … Warum dachte er sich bloß all diese Dinge aus, die viel zu groß waren für ein kleines Menschenleben, und warum verherrlichte er sie auch noch? Weil er Angst hatte vor der Vergänglichkeit, der Mensch? Und was ist mit mir, der ich ewige Treue geschworen habe einer Idee, die längst tot ist?
    Mit von der Kälte geröteten Wangen setzte sich Ljuba auf den Beifahrersitz und lächelte ihr warmherziges Lächeln. Sie hatte auch eine Tasche mit Butterbroten und eine Thermoskanne mit Tee dabei. Auf dem Parkweg neben sich sahen sie einen Mann und einen Hund vorüberlaufen, beide dick, außer Atem und mit heraushängender Zunge.
    Â»Danke, dass du mich eine Weile an deiner Einsamkeit teilhaben lässt, Onkel Assen.«
    Â»Die schätze ich nicht besonders, ich bin einfach gezwungen, sie zu erdulden.« Er wartete, bis die Straßenbahn vorbei war, dann beschleunigte er und bog in die Abzweigung zum Flughafen ein. »Du wirst sehen, die hat nichts gemein mit jener Einsamkeit des Weisen, von der wir in manchen Büchern so schön lesen, die ist einfach nur ein ganz gewöhnliches Ärgernis. Tut mir leid wegen der offenen Fenster. Ich hoffe, du erkältest dich nicht; aber wenn ich sie schließe, dann kriegst du eine Bleivergiftung, denn das ist leider kein bleifreies Benzin, was wir bekommen.«
    Â»Weißt du eigentlich, wie oft ich Jordan und Dessi beneidet habe?«, unterbrach sie ihn.
    Â»Worum?«
    Â»Dass sie so einen Vater haben!«
    Â»Oh, ich war alles andere als ein guter Vater. Frag die beiden mal, die werden dir schon sagen, was für ein ständig beschäftigter und zerstreuter, also im doppelten Sinne abwesender Vater ich war.«
    Ihr Lachen klang hell und rein, als hätte jemand mit feinem Schlägel ans blaue Porzellan des Himmels gerührt. Es durchrieselte ihn freudig.
    Â»Aber wenn du mal die Gelegenheit hast, sag ihnen ruhig, was du mir da gerade gesagt hast. Wäre dir höchst dankbar.«
12
    Bis zum Mittag hatten sie alle Butterbrote verzehrt. Sie tranken aus den Bechern ihrer Thermoskannen und sprachen über belanglose Dinge. Schon seltsam, eigens hier hinaus in die Ödnis zu fahren, nur um ein Treppenhaus-Schwätzchen mal unter freiem Himmel zu halten, unter dem die Felder immer noch Schnee verdunsteten. Der Wind trieb zerfetzte Plastiktüten und Papier darüber hin.
    Dann musste Ljuba langsam auf die Toilette. Für die Männer war das ja kein Problem, die stellten sich einfach breitbeinig vor den nächsten Strauch und taten, was ein Mann tun musste. Ljuba war aber kein Mann. Assen hätte sie natürlich zur Tankstelle fahren können, aber es gab keine Garantie, dass ihm sein Platz in der Schlange freigehalten wurde, in der sie nun schon vier Stunden ausharrten. Schließlich entschloss sich Ljuba, allein und zu Fuß zur Tankstelle zu gehen. Grinsend kehrte sie zurück, sie habe nur ihrer Nase zu folgen gebraucht und sofort am Geruch erkannt, wo sich die Toiletten befanden. Die seien aber verschlossen gewesen, und sie habe der Kassiererin zwei Leva geben müssen, damit die ihr aufschloss. Beide mussten lachen. Darauf erst mal einen Schluck Wein! Die Sonne war inzwischen stechend geworden, die Luft warm, und so konnten sie es gut bei geöffneten Fenstern im Wageninneren aushalten.
    Â»Ãœbrigens ein wunderbares Buch«, sagte Ljuba plötzlich versonnen.
    Â»Wovon sprichst du?«
    Â»Dein Buch über Demokratie ist wunderbar.«
    Â»Und das soll ich dir jetzt glauben?«, lächelte Assen melancholisch.
    Â»Ein kluges Buch.«
    Â»Das leider zu spät gekommen ist!«
    Â»Im Gegenteil, ich

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