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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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nicht mehr der Jüngste und, na, Sie wissen schon, moribundus, will sagen, ich lebe auch nicht ewig.«
    Krum wurde vor lauter Aufregung schlecht, und ihm brach der Schweiß aus.
    Â»Ich verspreche, darüber nachzudenken, aber bitte: Sagen Sie es wirklich nicht meinem Vater. Schwören Sie! … Denn das hier«, nun tippte er auf die Kassette, »das hier würde ihn umbringen!«
3
    Der Winter war mild. Viel Nebel hüllte gnädig viele verwahrloste Menschen ein. Schnee fiel kaum, und schon im März roch es nach Frühjahrshochwasser. Die Schneeglöckchen in ihrem Hof verblühten, der April verlockte Baum und Strauch zur Blüte, nur um danach den ganzen Zauber mit einem plötzlichen Kälteeinbruch von Norden buchstäblich von den Zweigen loszueisen. Erst gegen Ende April zeigte sich die Sonne wieder von ihrer freundlichen Seite und beschien voller Verwunderung Menschen in dicken Wintermänteln und die schwarzgefrorenen Ränder der Blattspitzen, die sich voreilig aus den Zweigen gedrängt hatten.
    An einem dieser warmen Morgen klingelte ihr Telefon. Krum Krumov rasierte sich gerade mit noch verschlafenen Augen vor seinem kleinen Taschenspiegel. Sein Kopf war leer, seine Wangen harrten, eingeschäumt, voller Bangen der Rasierklinge, die er aus Sparsamkeitsgründen seit über einer Woche nicht gewechselt hatte. In seiner Lieblingszeitschrift, Wissenschaft und Technik für junge Leute , hatte er in einer der letzten Ausgaben vor deren Einstellung gelesen, dass Rasierklingen automatisch geschärft würden, wenn man sie ins Zentrum einer Pyramide legte, wo sich ihre geheimnisvollen Kräfte bündelten. Schade nur, dass sie im Garten vor lauter Gemüsebeeten keinen Platz für eine kleine Privatpyramide hatten. Beim Rasieren versuchte er auszurechnen, wie viel Geld jährlich sie der angespannten Haushaltskasse sparen würden, wenn sein Vater und er es mit der Klingenschärfung durch Pyramidenenergie versuchen würden. Die Kartonpyramide mit den maßstabsgetreu verkleinerten Abmessungen der Cheops-Pyramide, die sie sich dann tatsächlich gebaut hatten, hatte aber kein Resultat erbracht. Seufzend wischte er sich mit dem Handtuch die rechte Wange frei und hob den Telefonhörer ab. Eine schwungvoll-energische Frauenstimme meldete sich.
    Â»Herr Krum Krumov Marijkin?«
    Â»Ja, am Apparat.«
    Â»Die Sekretärin von Herrn Tscholev erlaubt sich, Sie zu behelligen.« Die junge Dame war sichtlich von ihrer eigenen Fähigkeit zur höflichen Ausdrucksweise angetan.
    Â»Welcher Tscholev?«
    Spürbar beleidigt, klärte sie ihn ungeduldig auf:
    Â»Na, Pawel Tscholev, Ihr Mitschüler.«
    Â»Wie bitte? Diese Telefonverbindungen …«, tat er so, als habe er akustisch nicht recht verstanden.
    Â»Na, der Pavka eben«, erklärte sie jetzt im Ton für Blöde. »Und ich bin vom Pavka die Sekretärin!«
    Â»Oooh«, schaltete Krum, »natürlich! Ich höre, gnä’ Frau.«
    Â»Fräulein!«, verbesserte sie ihn. »Herr Tscholev möchte Sie sehen und bittet Sie in sein Büro.«
    Krum wischte sich nun auch die linke Wange ab.
    Â»Wann?«
    Â»Wenn’s geht, sofort«, sagte sie ohne viel Federlesens. »Ich hab den Kaffee schon aufgesetzt.«
    Krum griff nun doch zu einem neuen Rasiermesser und schabte sich den Bart vernünftig ab. Dann zog er seinen guten Anzug an, seine guten Schuhe, die schwarzen, und die gute Krawatte mit dem aufgestickten Löwenmonogramm. Draußen war es sonnig und trocken, aber frisch, ein angenehmer Duft nach tauender Erde lag in der Luft. Auf der Ulme gegenüber lärmten die Spatzen, die dort aneinandergekuschelt die kalte Nacht verbracht hatten. Nun sah es so aus, als würden sie wild tschilpend auf den Ästen Trampolin springen und so den Baum langsam von der Stelle verrücken. Die von Schlaglöchern übersäte Straße, die an der einst prächtigen Synagoge vorbeiführte und an der großen Moschee endete, war auffällig leer. Er musste sich beeilen. Der Kaffee war sicher schon dreimal fertig.
    Pawel war in der Tat sein Mitschüler gewesen, ein Junge mit großem Schädel und scheinbar gutmütig, dabei nicht sonderlich helle; als starker Kajak-Fahrer wurde er aber schon als Schüler in den Kader der Nationalmannschaft aufgenommen und kam durch die zusätzliche Protektion der Widiner Parteielite nach dem Abitur auf die

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