Seelenasche
zog die viel zu groÃen Pantoffeln ihres Vaters an. Tastend ging sie, ohne Licht zu machen, durch den Flur in die Küche und begann, in den vollgestopften Schubladen des Küchenschrankes zu wühlen. Die Textilschere war ein ganz altes Schätzchen mit verrostetem Schräubchen und stumpfen Scherblättern. Dessislava hatte dennoch im Vorgefühl süÃer Rache den Eindruck, eine Axt aufgetrieben zu haben. Ohne zu wissen wie, traumwandelte sie durchs dunkle Wohnzimmer, stahl sich ins Eltern-Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank ihrer Mutter.
Der süÃliche Duft von Patschuli wehte sie an. Der Stoff der Kleider fühlte sich warm an und war selbst nur ein Hauch, so dünn. All diese Kleider, Kostüme und Röcke bedeckten, betonten aber auch den nackten Körper, der in ihnen steckte. Dessislava zog das Samtkleid ihrer Mutter heraus, das sie bei offiziellen Anlässen trug, streichelte einmal darüber â und begann, es sorgfältig in Streifen zu schneiden. Die Hände gehorchten ihr tadellos, sie zitterten kein bisschen! Das, was da nun in ihren Armen lag, war kein beschädigtes Kleidungsstück, es war zerschnittene Nacktheit.
Danach fühlte sie sich schwach und ganz, ganz klein in der stillen Wohnung. Sie bekam sogar Lust, zu spielen â wie ein kleines Mädchen eben. Sie schaute sich um. Fuhr zusammen, als sie die Steinschlosspistole sah, die nachlässig auf dem Frisiertisch lag. Zwischen all den zahllosen kleinen Helferlein weiblicher Eitelkeit von Schminkdöschen bis zu Parfümflakons glich die Pistole einer Waffe, die ein Selbstmörder hinterlassen hatte. Jetzt war sie vollkommen hilflos und allein. Da rief sie sich die Worte Jonkas ins Gedächtnis: »Wenn du ganz allein zu Hause bist, dann heiÃt das, dass alle bei dir sind!«
12
Im Gang, der vom Aufzug zum Studio führte, beruhigte er sich, wie immer. Viel zu viele Leute um ihn herum: Beleuchter, Cutterinnen, Tontechniker, Sekretärinnen und Vorgesetzte wirbelten um sein aufgesetztes Lächeln. Er kam aus dem munteren Kopfnicken gar nicht mehr heraus. Wenn er ihn entlangging, veränderte sich der Korridor; es war, als veröde er. Das Gewimmel hielt inne, drückte sich an die Wände, nur damit er, der ungekrönte König des Bildschirms, in all seiner Würde ungehindert passieren konnte.
Die heutige Sendung würde schwer werden, denn es ging um künstliche Intelligenz, und davon hatte er keinen blassen Schimmer. Es roch erregend nach Fernsehen: nach gepuderten jungen Frauen und Import-Zigaretten, nach staubiger Luft, die in der Hitze der Projektoren verbrannt war, nach versteckter Lüsternheit, starkem Kaffee und Angst vor etwas, das schwer zu fassen war, das sich entzog, aber ständig drohend in der Luft hing. In Studio 5 wurde gerade ein Märchen für Kinder gedreht. Ein Poseidon saà da mit zerzaustem Bart und hölzernem Dreizack und rauchte unter dem Warnhinweis »Rauchen verboten«. Mangels eines Aschenbechers stippte er die Asche in eine leere Filmdose. Das Fernsehen glich der Operette: Alles war gepudert, überzeichnet, kalkuliert und ging immer gut aus, sogar das Hässliche, Niveaulose und Unqualifizierte. Und das war nicht die Meinung von irgendwem , sondern die des â ehemaligen â Generaldirektors, der seine Einschätzung mit den Worten beschloss: »Das Fernsehen ist dazu aufgerufen, das Leben so zu zeigen, wie es ist; wir fügen nur am Ende ein bisschen Happyend hinzu, um den Leuten an den Bildschirmen zu sagen: Beruhigt euch, alles halb so wild!«
Jordan steckte seinen Kopf in die Maske. Mit ihren hohen Stühlen, gnadenlosen Spiegeln und dem weibischen Duft nach Puder erinnerte der Raum an einen Frisiersalon. Seine drei Professoren saÃen ergeben da, während die fuchsrote Pepa ihre riesigen Brüste tanzen lieà und die Herrschaften mit feinen Pinselchen bearbeitete, als restauriere sie Renaissance-Porträts. Die Scheinwerfer im Studio heizten der Luft schon mächtig ein; die renommierten Kopfarbeiter würden arg ins Schwitzen kommen. Verschwitzte Gesichter aber stieÃen die Zuschauer ab, weil sie sie an Arbeit denken lieÃen, und zwar körperliche Arbeit, an Plackerei. In der Maske musste daher alles getan werden, damit sie dennoch mitsamt ihren hohen Stirnen und tiefen Geheimratsecken, den anthropologischen Zeichen ihrer Intelligenz, nach Erhabenheit und Selbstkontrolle aussahen.
»Danke,
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