Seelenasche
bei der Langeweile, denn es fehlte die Spannung.
»Hergehört, Herzchen! Wir sind spät dran. Und Professoren sind nur geduldig, wenn sie einer Entdeckung auf der Spur sind.«
»Chef, kennst du nicht ân australisches Tier mit fünf Buchstaben?«
Ihre gesellige Gelassenheit erhöhte seine Anspannung nur noch. Verdammt, er verstand weder etwas von Kybernetik noch von künstlicher Intelligenz. Er hatte nur einen Artikel in Wissenschaft und Technik für die Jugend gelesen, aber das war im Zug nach Plovdiv gewesen, und darin ging es nicht um Cyborgs, sondern um Gentechnik. Vermutlich gab es zwischen diesen Bereichen sogar eine Verbindung, aber sie entzog sich ihm. Jordans Stärke bestand nicht im Erkennen des Problems, sondern in der Deutung der Folgen. Er würde ihnen mit dem »Humanum« kommen. »Die Wissenschaft macht es denkbar, dass der Mensch eines Tages zum Hybriden aus Biologie und Technik wird. Doch die Maschine muss dem Tod nicht ins Auge schauen, sie wird sich selbst immer weiter vervollkommnen und ewig erhalten. Ist das moralisch?« Er hatte aus dem Munde seiner Schwester einen Hammer von Satz gehört, der ihn auf wunderbare Weise erschüttert hatte: »Der Tod ist die höchste Form der Moral, weil vor ihm und nur vor ihm alle gleich sind, egal, ob sie arm oder reich, hässlich oder schön, glücklich oder unglücklich sind.« Der Verstand, wie auch immer beschaffen, selbst als elektronische Schaltung, sehnt sich nach Subjektivität, danach, ein Ich zu sein. Doch das Ich besteht aus egoistischen Motiven, will unbedingte Freiheit, tun und lassen können, was es will, also über die anderen herrschen. Die Vorstellung eines unsterblichen Tyrannen oder eines ewigen Sklaven stöÃt es ab. Eine vielhundertjährige Liebe zu einem Wesen, wenn auch einem elektronischen, ist mörderisch. Egal, wie er programmiert sein wird, künstlicher Intellekt ist gefährlich, er wird früher oder später jene ungeheuerliche Aggressivität annehmen, die durch den Tod unterbrochen und besänftigt wird. Das Leben als Ganzes realisiert sich durch die Sterblichkeit seiner Individuen. So herbeigeholt es auch klingen mag, der enorme Vorteil des biologischen vor dem elektronischen Menschen besteht darin, dass er, so sehr er sich auch um seine Selbsterhaltung sorgt, am Ende stirbt. So verliert die Menschheit ihre Lehrer und ihre Genies, aber auch ihre Peiniger und Unterdrücker, die sie in eine einförmige Herde verwandeln wollen ⦠So in etwa musste er die Sache exponieren.
Jordan trank seinen Kaffee aus und streckte sich zufrieden auf dem Stuhl aus. Die Sendung stand. Gleich dem Vogel Phoenix erhob sie sich aus der Asche seiner Ahnungslosigkeit. Gut, dass ich nichts über Norbert Wiener weiÃ, dachte er groÃmütig. Trotz des Puders auf der Haut würden seine Professoren ins Schwitzen geraten. Kernproblem sind nicht die technologischen Möglichkeiten, würde er einleiten. Die Frage, ob es überhaupt möglich ist, künstliche Intelligenz zu erzeugen, braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Was mich bedrängt, ist die Frage der moralischen Verantwortung, die sich uns unweigerlich stellt, wenn elektronische Unsterblichkeit Realität geworden ist. Wozu brauchen wir einen solchen Maschinenmenschen überhaupt, wenn uns die Unsterblichkeit auch durch den schöpferischen Geist gegeben ist? Um eines Tages ferne Galaxien erreichen zu können? Die Welt endet doch nicht an den Grenzen unseres Vorstellungsvermögens, unseres Wunsches nach Ausweitung des Raumes unserer Erkenntnis?
»Tapir«, sagte er zu seiner eigenen Ãberraschung. »Probiert mal, ob Tapir passt. Soweit ich weiÃ, lebt diese Kreatur in Australien, obwohl ich manchmal den Eindruck habe, auch in Bulgarien tapern viele seiner Artgenossen herum.«
»Passt, Chef, du bist ja richtig fit in Zoologie!«
»Meine eigentliche Domäne ist natürlich die Botanik«, erwiderte Jordan in ironisch gespielter Bescheidenheit, »ach ja, und natürlich altchinesische Philosophie â Taoismus, Buddhismus ⦠Und die Weisheiten des Konfuzius liegen immer griffbereit auf meinem Nachtschränkchen.«
Er sog den würzigen Rauch seiner Zigarette ein und schaute in die lachenden Augen seiner Mädels. Ja, heute war er in Form! Die dezente Farbe seines Anzugs, der elegante Schnitt seines Sakkos, vor allem aber seine Gesichtszüge verrieten
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