Seelenasche
dass Sie so pünktlich sind«, lächelte Jordan wohlwollend und zwickte Pepa heimlich in den festen Po, »in fünf Minuten erwarte ich Sie im Studio. Das ist die Tür mit dem Kunstlederbezug links, an der Seite ist eine Tafel mit zwei Warnlämpchen. Das grüne wird leuchten, also immer hereinspaziert â¦Â«
Danach schaute er noch einmal bei der Regie vorbei. Er wusste, dass sie sich schon ihren Kaffee von der Bar geholt hatten und auf ihn warteten. Und sie wussten, dass er nie Wutanfälle bekam und nie herumschrie. Er gab ihnen regelmäÃig einen aus, kümmerte sich um ihre Honorare â und für all das liebten sie ihn. Die Liebe des zeitgenössischen Menschen aber drückte sich darin aus, zu zeigen, dass er etwas taugte, sich nützlich machte. Seine Regiedamen verstanden etwas von ihrer Arbeit, waren aber ansonsten ganz normal durchgeknallt. Sie machten einander Horoskope, interessierten sich für Esoterisches und Ãbersinnliches und gerieten in Panik, wenn mal ein Ãbertragungswagen einen Unfall baute oder der verflixte Aufzug zwischen zwei Etagen stehen blieb. Der gesellschaftliche Rang des Fernsehens, das Gefühl von Bedeutung und Privilegiertheit erzeugte bei allen Redakteuren, Regisseuren und Moderatoren früher oder später klaustrophobische Leiden. Die kleinen Räume, die kleinen Ideen und die bescheidenen Produktionsbudgets waren ein einziger Albtraum für Jordan und seine Mädels.
»Schönen guten Morgen, meine Herzchen â¦Â«
Der Duft nicaraguanischen Kaffees stieg ihm in die Nase. Seine Herzchen waren in gehobener Stimmung und lösten gerade ein Kreuzworträtsel der Zeitung Blick . Jordan arbeitete nur mit Frauen, denn die zeitgenössische Frau war ehrgeizig, einsatzfreudig und korrekt, dabei vergleichsweise loyal, betrank sich nicht ständig und achtete auf eine gepflegte Erscheinung, was sein ästhetisches Bedürfnis befriedigte. Weibliche Begeisterung erfüllte ihn überdies mit jener prickelnden Euphorie, die die Sinne schärfte und einen motivierte. Ihre reizende Unmittelbarkeit glich einem lebendigen Spiegel, in den er immer schauen konnte, wenn er sich seiner eigenen Respektabilität versichern wollte. Er war mit keiner von ihnen ins Bett gegangen, und so hielt er ihre freundschaftliche Solidarität stets im Gleichgewicht. Wie hatte doch ihr ehemaliger Generaldirektor so schön ironisch-sozialistisch gesagt: »Das Kollektiv muss wach gehalten werden. Der Einzelne darf mal wegpennen, das Kollektiv â niemals.«
Jordan war stolz auf seine Mädels, denn sie waren integraler Bestandteil des Markenzeichens »Jordan Weltschev«. Elena war ausdruckslos, naiv und völlig neben der Kappe, drei negative Eigenschaften, aus deren Verbindung etwas Vollkommenes hervorging. Iliana wirkte kühl wie eine schwedische Schönheit, Sima hatte ein stolzes römisches Profil und Beine, so endlos, dass man meinte, sie fingen gleich unter ihrem Kinn an.
Am Morgen, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit machte, hatte er seine Frau kurz im Bad unter der Dusche gesehen. In der heiÃen Dampfwolke sah sie gespenstisch aus, fast immateriell und sanft phosphoreszierend. Er liebte sie und war glücklich, nur ihre nackte Schulter küssen zu können, auch wenn er wusste, dass sie keine Reaktion zeigen würde. Neda war frigide und so intelligent, dass ein Kuss unter der Dusche sie nicht nur völlig kaltlieÃ, sondern ihr sogar lästig war. Vermutlich war es sogar dieser ihr permanenter Widerstand, der ihn an sie fesselte; da sie sich ihm nicht hingab, sondern sich dagegen wehrte, glich jeder Beischlaf fast einem Gewaltakt. Es erregte ihn inzwischen, wenn er ihren Unwillen spürte, ihre Bettlektüre zu unterbrechen, nur um ihrer ehelichen Pflicht zu genügen. Er wiederum konnte nicht schlafen, wenn anschlieÃend bis spät ihre Nachttischlampe brannte. Sie schien sich mit den Büchern, die sie liebte, zu verändern, und als sie Madame Bovary gelesen hatte, bekam er panische Angst, sie könne sich einen Liebhaber suchen und ihn verlassen.
Ein leichter Krampf zog seine Kehle zusammen. Er brauchte unbedingt einen Kaffee und eine starke Zigarette. Um sich abzulenken, versuchte er, die schwedische Schönheit Ilianas mit den strammen Brüsten Elenas und den unfassbaren Beinen Simas zusammenzupuzzeln. Dabei kam etwas Fürchterliches heraus. Der Mensch suchte das Ideale im Maximalen und landete
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