Seelenasche

Inspiration und Siegesgewissheit. Genau das war es, was die Menschen sehen wollten: Sie starben dafür, zu sehen, wie jemand an sich selbst glaubte und damit Erfolg hatte!
    Sein Team hatte für die Sendung drei interessante Einspielfilme von anderen Sendeanstalten organisiert. In einem war ein japanisches Ungetüm zu sehen mit eklig aussehenden Extremitäten, die Jordan griffig »die Arme der Zukunft« nennen würde. Der zweite Film stammte aus dem BRD-Fernsehen und zeigte ein Zukunftsauto mit windschnittiger Form und einer Steuerung, die der menschlichen Stimme gehorchte. Wenn das entsprechende Kommando geäußert wurde, gingen zum Beispiel die Scheiben herunter, setzten sich die Scheibenwischer in Bewegung oder ging die Belüftung oder die Heizung an. Der dritte Doku-Einspielfilm zeigte den Shannon-Versuch: Eine abscheulich aussehende mechanische Ratte, vollgestopft mit Elektronik, suchte und fand auf ihren lautlosen Rädchen den Ausgang aus einem Labyrinth, um ihr symbolisches Stück Käse zu erreichen. Bei diesen Filmen würden seine Zuschauer den Mund nicht zukriegen, da war Jordan sich ganz sicher; Sorgen bereiteten ihm seine drei gelehrten Herren …
    Zu Elena, die diesmal am Mischpult saß, sagte er: »Als Erstes lässt du das Rattenfilmchen laufen; das japanische Ungetüm bringst du zum Nachtisch; es ist am abstoßendsten, und das behalten die Leute. Die Gesprächsteilnehmer stellen wir mit vorgeschalteten Kurzporträts vor. Cutten Sie ihre Statements, während sie reden, das hinterlässt den Eindruck, sie wüssten mehr, als sie sagen … dürfen. Ich selbst werde sie nämlich nicht unterbrechen. Wir heißen Runder Tisch , damit die Zuschauer das Gefühl haben, sie könnten mitreden, na eben, als wären wir so richtig basisdemokratisch. Ach ja, und keine zu langen Nahaufnahmen! Die Gesichtszüge unserer Herren mögen ja von vornehmer Langeweile und geistiger Höhe zeugen, aber schön sind sie nicht. Ihr wisst ja: Sonst kriegen wir empörte Zuschaueranrufe, wir hätten ihre Kinder vom Studium abgeschreckt.«
    Sima, die bei dieser Sendung die Regie machte, schärfte er ein: »Ich will Bewegung! Vor der Kamera werden sechs Leute sitzen; der Wertvollste davon – keine Frage – bin ich. Wenn meine Wenigkeit einen Hänger haben sollte, dann sofort den französischen Sciencefiction-Trickfilm mit den Roboter-Aufsehern abspielen, die die ganze Menschheit hinter Schloss und Riegel gebracht haben. Lustig ist der nicht, aber lehrreich und vor allem – stumm. So haben die Zuschauer Zeit, Zweifel am Nutzen der künstlichen Intelligenz zu entwickeln …«
    Seit einer guten halben Minute klingelte das Telefon. Sima verschob ihre Schenkel gegeneinander und hob betont träge den Hörer ab.
    Â»Chef, da sucht dich irgendeine Braut.«
    Ausgerechnet jetzt. Jordan empfand nichts als Verärgerung, denn sie hatten das Studio nur bis neun Uhr, und die Zeit war knapp.
    Â»Ich vermute, du hast es eilig, aber wir müssen uns sehen«, sagte »die Braut«. Als Jordan Emilias Stimme erkannte, fiel er beinahe vom Stuhl.
    Â»Du weißt doch, dass ich auf dem Weg ins Studio bin?«
    Â»Ich hab auch Vorstellung, aber ich möchte, dass wir uns heute Abend noch sehen.« Er fing eine Spur Bitterkeit in ihrer Stimme auf – der letzte Tropfen Kaffee vor dem Kaffeesatz. »Es ist wichtig, Jordan.«
    Er hatte sich längst abgewöhnt, sie Mama zu nennen, und begonnen, sie als ältere Freundin zu betrachten, die ihm nie lästig wurde, auf deren Diskretion er sich verlassen und von der er sich im Notfall immer Geld leihen konnte. Er fragte sich, wo er sich mit ihr treffen sollte, und erinnerte sich, dass ihr Lieblingsrestaurant der Russische Klub war. Die Kellner kannten sie dort, der Koch legte sich für sie ins Zeug; dort kannte man ihre ganze Laufbahn von A bis Z.
    Â»Gut, Emilia«, sagte er milde, »um halb zehn warte ich vor dem Russischen Klub auf dich.«
    Â»Danke, mein Junge, ich wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
    Der plötzliche, durchdringende Signalton im Hörer stieß ihn in die Wirklichkeit zurück. Um seine Verwirrung zu verbergen, eilte er flink in die Maske. Er ließ Pepa sein Haar bändigen und sein Gesicht einpudern. Ihre Augen füllten sich mit erwartungsvoller Hingabe, doch dieses Mal verzichtete er darauf, ihrem prallen Po die Ehre eines