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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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vergessen, den er in Simas Büro stehengelassen hatte. Er ging zwei Etagen tiefer, lief den Korridor entlang und trat ein, ohne vorher anzuklopfen. Drinnen brannte weder die Decken- noch die Tischbeleuchtung. Durch das Fenster drang müde und bleischwer das Licht. Am Schreibtisch, gleich neben dem Heizkörper, saß Dida, den Kopf auf die Arme gelegt, und schlief. Lächelnd, fuchsrot, bezaubernd wie ein Mädchen, das beschützt werden musste, es aber vor naiver Vertrauensseligkeit nicht wusste. Sein Inneres krampfte sich in süßem Schmerz zusammen.
    Der Chef hatte sie als Mädchen für alles eingestellt. Sie machte den Kaffee, brachte die Post und die Zeitungen, machte Termine und arbeitete sich auch sonst langsam in alles ein, was man so das Aufgabenfeld einer Sekretärin nennt. »Manchmal geht sie sogar für mich einkaufen«, hatte Sima einmal lächelnd fallenlassen.
    Dida atmete leise und regelmäßig. Neben ihrer leicht geröteten Wange lagen ein dickes Schreibheft und ein Kugelschreiber. Jordan ging hin, nahm die Kladde und begann, darin zu blättern. Die ersten Seiten waren mit Strichzeichnungen gefüllt, die skizzierten, wie Sima die Kameras im Aufnahmestudio postierte. Das überraschte ihn angenehm. Er wollte das Heft bereits an seinen Platz zurücklegen, als sein Blick auf eine seltsame Liste fiel, geschrieben in einer filigranen Handschrift und voller dick markierter Großbuchstaben.
    Â 
    REGELN, DIE ICH VON JETZT AN UNBEDINGT EINHALTEN MUSS!!!
    Â 
    Â Â 1.  Jeden Morgen und jeden Abend eine Dusche nehmen.
    Â Â 2.  Jeden Tag zehn englische Wörter lernen.
    Â Â 3.  Jeden Abend fünfzig Seiten total gute Literatur lesen.
    Â Â 4.  Aufhören, so bescheuerte Wörter zu benutzen wie » total«, » checken« oder » echt«, die nix sagen, tschuldigung, NICHTS sagen.
    Â Â 5.  Alle kurzen Röcke und Blusen mit Bauchnabel-Dekolleté in die Kleidersammlung tun oder sie meiner Nichte schenken. Ohne Violett kann ich echt nicht, aber dieses grelle Rot – nee, nie wieder!
    Â Â 6.  Von jetzt an nur Kleidung Marke » schlichte Eleganz«. Selbst wenn ich dann für eine graue Maus durchgehe.
    Â Â 7.  Schminken? Okay, wenn ich schlecht drauf bin, krank oder sauer, dann ja, aber sonst: Malkastenverbot!
    Â Â 8.  Nicht krank spielen.
    Â Â 9.  Eher schon die Gesunde spielen, auch wenn ich dafür ein bisschen die Durchgeknallte geben muss.
    10.  Mir sagen, dass ich ein erfolgreicher Mensch bin, vor allem seit sie mich in der Sieben-Tage-Redaktion eingestellt haben. Hörst du, Dida: Du bist eine erfolgreiche Tussi! Sag dir das vor allem, wenn du mal wieder vom Balkon der 10. Etage springen willst.
    11.  Die armen Blümchen und Sträucherlein unten vor meinem Plattenbau, die die lieben Mitbewohner vor fünf, sechs Jahren im Schweiße ihres Angesichts an den sozialistischen Arbeitssamstagen gepflanzt haben, dürfen nicht unter meiner Neigung zur Selbstvernichtung leiden. Sollen die Vögelein sich tags dran erfreuen, und nachts die Besoffenen was haben, wo sie dranpinkeln können.
    12.  Auch wenn’s mir den letzten Nerv und den letzten Pfennig raubt, ich muss den verdammten Schauspielkurs an der Akademie auf jeden Fall zu Ende machen!
    13.  Checken, warum Sima, wenn die Sendung durchhängt, immer Großaufnahme macht, und wenn der eitle Großmeister Weltschev sich in Rage redet, sofort auf Nahaufnahme geht.
    14.  Raffen, woher die Anziehungskraft von diesem selbstverliebten Kleiderständer Weltschev kommt.
    15.  Schnallen, was im Irrgarten von dem seinem erleuchteten Oberstübchen so abgeht.
    16.  Sich wie eine echte Dame verhalten. Echt höflich und so, auch gegenüber Blödmännern. Sogar mit diesem Poseur Jordan Weltschev.
    17.  Und auf keinen Fall darf dieser Fatzke rauskriegen, dass ich ihn gut finde, dass ich echt, total, aber volle Kanne auf ihn stehe. Nein, ich bin nicht verliebt in ihn!!! Und wenn doch? O Himmelherrgottmariaundjosef, neiiin! Auf gar keinen Fall!! Genau, ich hasse ihn, das ist es: Ich hasse ihn!!!!
    18.  Und nicht vergessen, Dida-Darling: Jeden Morgen und jeden Abend nimmst du eine Dusche. Das muss nochmal gesagt sein hier, weil … die leichtesten Sachen sind immer am schwersten, nicht wahr, Dida-Herzchen?
    Â 
    Also, ich komme zum Schluss:

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