Seelenasche
ihm weh. Vor Angst. Vor namenloser Angst. Er lauschte in die einsetzende Dämmerung hinaus, hörte aber immer nur das Rieseln der Klospülung, dieser idiotischen Klospülung.
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Schwitzend und nach Alkohol, nach Seelenpein und tierischer Angst stinkend kam er nach Hause. Er küsste seine Mutter auf die Stirn und ging augenblicks auf die Toilette, wo es schummrig war und er sich geschützt und ungestört fühlen konnte. Er hatte Petrov ja versprechen müssen, den Brief des Generals nicht nur aufmerksam, sondern auch laut zu lesen. Er steckte sich eine Zigarette an, holte den edlen Briefumschlag aus seiner Sakkotasche, erbrach das wächserne Siegel, das einen an wichtige Depeschen aus der Zeit des Absolutismus denken lieÃ, seufzte einmal und begann zu lesen mit der Vorahnung, dass er, ohne es zu wollen, etwas Jesuitisches und Beklemmendes erfahren würde.
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Mein lieber Christo!
Bitte sieh mir diese kleine Freiheit nach, dich mit deinem Vornamen anzureden. Ich tue es, weil ich dich im Laufe der Zeit so gut kennengelernt habe, dass du mir nahe bist. Und dein unruhiger und nicht zu bändigender Dickkopf ist mir einfach sympathisch. Es mag seltsam klingen für dich, aber â wir sind vom selben Schlag. Beide haben wir diese Sensibilität für das wahre, das ganze Leben in seinen guten Seiten, aber auch seiner Unvollkommenheit und seiner Niedertracht, und da wir intelligent sind, sehen wir auch die Menschen in ihrer ganzen GröÃe, Niedrigkeit und Dummheit. Aus diesem Grunde will ich rückhaltlos offen mit dir sein. Das ist für mich so, als führte ich einen inneren Dialog mit mir selbst. Daher will ich dir auch den geheimsten und bestgehüteten Teil meiner selbst nicht vorenthalten. Im Grunde empfinde ich dich, versackt in deiner Einsamkeit, schon lange als verwandte Seele, doch im Folgenden will ich mich dennoch mit dem nötigen Respekt und der angemessenen Distanz an dich wenden, die du dir verdient hast in den Jahren, in denen wir uns für dieselbe Sache eingesetzt haben.
Nun denn â¦
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Werter Herr Weltschev!
Ãber Oberstleutnant Petrov sende ich Ihnen 5000 (in Worten: fünftausend) Deutsche Mark, über die Sie nach MaÃgabe der Situation, die Sie antreffen werden, frei verfügen können. Bitte haben Sie die Güte, mir den Betrag binnen eines Monats zurückzuerstatten. Bis dahin wird sich Ihr Leben bereits grundlegend geändert haben und Ihr Auskommen mehr als gesichert sein. Ebenfalls bitte ich Sie, unsere Anweisungen exakt und ohne jede Abweichung zu befolgen. Geben Sie sich keinerlei Zweifeln über deren Richtigkeit oder Angemessenheit hin, und erlauben Sie es weder Ihrer Nervosität noch der Ihnen eigenen, tiefsitzenden Anständigkeit, Sie vom eingeschlagenen Weg abzubringen, der, wie ich doch hoffe, ein ansehnliches Lebensabenteuer und sowohl für Sie als auch für die Gesellschaft von Nutzen sein wird. Vergessen Sie bitte nicht, dass Sie Ihre Freiheit wiedererhalten haben gegen die Verpflichtung, ebendiesen Weg zu gehen, und lassen Sie es sich gesagt sein, dass jeder Versuch, von ihm abzuweichen, bestraft werden wird. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg auf diesem Weg! Ich zweifle nicht daran, dass er einer Leuchtspur gleichen und Ihnen jene Selbstsicherheit geben wird, die Sie brauchen. Wir haben Sie ausgewählt, die Last des Erfolgs und der Prosperität zu tragen, weil wir hoffen, durch Ihren Einsatz dem bulgarischen Volk, das derzeit in Chaos und Rechtlosigkeit ertrinkt, Hoffnung auf Wohlergehen und eine bessere Zukunft geben zu können.
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Und nun möchte ich Ihnen kurz erzählen, wie ich Ihnen, wenn auch erst nach langen Mühen, auf die Schliche gekommen bin.
Gesehen haben wir uns ja nur zweimal, einmal an jenem heiÃen Nachmittag, als ich voller ironischer Vorfreude war, den nächsten beschissenen Weichling oder moralisch abartigen Widerling anzuwerben, im Laufe der Zeit aber von Ihnen angenehm enttäuscht wurde. Sie glauben ja gar nicht, wie viele dieser kleinen Denunzianten sich groà dabei vorgekommen sind, Schicksal für andere Leute spielen zu können, aber zu feige waren, es offen zu tun. Das waren Menschen, die Freude daran hatten, andere zugrunde zu richten, heimlich Henker sein zu können, und sich öffentlich damit herausredeten, sie hätten keine andere Wahl gehabt, weil sie Opfer eines bösen, bösen » Systems« waren! Das zweite Mal haben wir uns bei mir
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