Seelenasche
Kopf wohlwollend und sagte:
»Na, das hört sich doch interessant an; gefällt mir! Das hat Witz!«
Später, als Jordan und Daniela dem getönten Malzbraun im Inneren des Gebäudes entschlüpft waren und zwischen dem Steingarten und den bunten Blumenrabatten entlanggingen, die Sonne Didas Haar zum Funkeln brachte und das Blau ihrer Augen wiederherstellte, blieb Jordan plötzlich stehen, schaute ihr prüfend ins blass gewordene Gesicht und fragte, um es endlich loszuwerden:
»Jetzt sag mir bitte mal, wie konntest du dir einen solchen Blödsinn ausdenken?«
Daniela lächelte glücklich und breitete die Arme aus, als wolle sie die ganze Welt umarmen und gestand:
»Na, ich hab plötzlich gemerkt, dass ich ihm gefalle, und dass du dich schrecklich schwer mit ihm tust, weil dir die ganze Sache eigentlich gegen den Strich ging â¦Â« Sie schaute ihn kokett an und fuhr fort: »Da dachte ich: Egal, was ich jetzt sage, der Toschev wird das akzeptieren, aber eben nur da, in dem Moment. Und da ich keine Zeit hatte zu überlegen, hab ich das Erste gesagt, was mir in den Sinn kam. Tschuldige, Chef, kommt nicht wieder vor. Aber ich musste dich da doch irgendwie aus dem Schlamassel ziehen!«
8
Die Sendung war eine von der ganz schweren Sorte, denn das Thema war die Zwangsumbenennung und Vertreibung der bulgarischen Türken im Jahrzehnt vor der Wende, die gegen Ende der kommunistischen Herrschaft pogromartige Züge und die AusmaÃe eines Exodus angenommen hatten. Die Kommunisten hatten in der kriselnden Planwirtschaft der 1980er Jahre ein Feindbild gebraucht, einen Sündenbock, auf den sie die Unzufriedenheit des Volkes lenken konnten, und hatten mit gezielter Propaganda Gerüchte gestreut, dass die Türken die Produktion sabotierten und buchstäblich Brunnen vergifteten. Die Filmaufnahmen dieses stillen, in sich gekehrten Zuges von Menschen, die wegen ihrer Weigerung, slawische Namen anzunehmen, ihre Häuser verlassen mussten, ihre Autos mit dem gesamten Hausrat beluden und in langen Schlangen vor den Meldestellen und an den Grenzübergängen zur Türkei standen, waren beklemmend. Sie glichen einem zäh dahinflieÃenden Totenfluss. Jordan hatte immer Mitgefühl für diese stillen, arbeitsamen Menschen gehabt, doch das bedeutete nicht, dass er die von bulgarischen Türken geführte Partei, die angeblich für die Rechte und Freiheiten dieser Minderheit eintrat, nicht im Verdacht hatte, von Vertrauten und ehemaligen Spitzeln der Staatssicherheit geschaffen worden zu sein, die die Erschütterung über das Los dieser Menschen schlicht ausnutzten, um im groÃen und einträglichen Spiel der Politik gute Karten und sichere Wähler zu bekommen.
Als die bedrückende Diskussion schlieÃlich endete, die Projektoren erloschen und die Luft im Studio wieder abkühlte, war er schweiÃgebadet und hatte das Gefühl, zwei Kilogramm an Gewicht verloren zu haben. Jetzt wollte er nur noch nach Hause, sich unter die Dusche stellen und danach einen groÃen Schnaps kippen, auch wenn dessen Zutaten wohl nicht mehr aus dem Weinberg kamen, sondern aus dem chemischen Labor. Doch da rief ihn sein Chef zu sich, um ihm zu gratulieren dafür, dass er die Courage besessen habe, eine von der Kruste der allgemeinen Scham bedeckte, aber eben nicht verheilte Wunde aufzukratzen, und um ihm mitzuteilen, dass die erste Tranche der Sponsorengelder von Eduard Toschev eingetroffen sei, sodass er nun erstmal ein halbes Jahr fröhlich seinen Hut in die Luft werfen und â wenn er wolle â nach Gusto auch die Hose runterlassen und das darin Befindliche vor der Kamera schwenken könne. Auf seinem Schreibtisch standen heute einige alte Ansichtskarten aus den Wiedergeburtsstädtchen Trjawna und Kopriwschtiza, die in den 1930er Jahren aufgenommen worden waren. Zwei seiner Wandmonitore waren auch diesmal eingeschaltet. Auf einem lief eine CNN-Nachrichtensendung, auf dem anderen die BBC. »Und schäm dich, dass duâs der Kleinen noch nicht besorgt hast! Du bringst mich noch dazu, das selbst zu übernehmen!«
Wie immer hatte er die Jalousien seines Panoramafensters heruntergelassen, um allein und ungestört zu sein in seiner gesegnet unwirklichen, nur von Abbildern erfüllten und daher vollkommen ungefährlichen Welt. Jordan aber wusste, dass es drauÃen aus einem niedrigen Wolkenhimmel Bindfäden regnete. Er durfte also seinen Schirm nicht
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