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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Wenn du das alles befolgst und beherzigst und dich zu diesen Höhen aufschwingst, liebste Dida, dann werde ich mich ins Herz schließen! Und zwar für immer und ewig, echt ! (ohne » echt«, hab ich gesagt, also streichen!!)
    Deine Dida
    Â 
    Die schlafende Frau vor ihm zog die Stirne kraus, machte eine finstere Miene und seufzte. Jordan wich zurück, als hätte er auf die sprichwörtliche heiße Herdplatte gefasst. Er legte das Schreibheft an seinen Platz zurück und verließ Simas Büro. Ein paar Leute grüßten ihn, als er über den Flur ging. Er erwiderte den Gruß mit zerstreutem Nicken, ohne sie zu erkennen. Draußen sollte eigentlich Sommer sein, aber ihn fröstelte regelrecht. Er ging durch die Unterführung und dann am Perlowo-Kanal den Evlogi-Georgiev-Boulevard rauf. In seinem Kopf herrschte ein lautes Durcheinander, und er fühlte sich hin- und hergerissen von widersprüchlichen Gefühlen. Einerseits war es ihm jetzt peinlich, dass er aus Neugier heimlich einen Blick ins Intimste einer so gut wie unbekannten Frau geworfen hatte, andererseits beschäftigte ihn das Gelesene und verstärkte noch jenen süßen Schmerz, der nach und nach sein ganzes Wesen ergriff.
    Auf einmal setzte der nächste Regenguss ein, heftig und prasselnd. Da fiel Jordan ein, dass er den Schirm vergessen hatte, dessentwegen er eigentlich in Simas Büro gegangen war.
9
    Christo hatte eine Flasche Johnny Walker von zu Hause mitgebracht, aber Eis, das war natürlich schlecht möglich. Er ging auf die Toilette, drehte den Hahn auf und ließ das Wasser laufen, bis es kalt wurde. Dann spülte er eine leere Schweppes-Flasche aus und ließ sie volllaufen. Mandeln, Haselnüsse und Cashew-Kerne hatte er auf einen angeschlagenen Porzellanteller gefüllt, den er in den Tiefen des Küchenschranks aufgetrieben hatte. Der Nachmittag draußen war so drückend heiß, dass alles wie betäubt wirkte in diesem von der Brandmauer gegenüber abgeriegelten Ambiente aus Betonstaub, ungelebtem Leben und abgestandener Luft.
    Major Petrov starrte dramatisch auf den Bildschirm des kaputten Fernsehers. Diese Ausstrahlung des ewig melancholischen, von Gott, der Welt und seiner Frau verlassenen, erwachsen gewordenen Waisenkindes war Christo immer an die Nieren gegangen. Wissend, dass seine Macht nur begrenzt und ephemer war und er selbst einfach nicht wichtig genug, um Leute ernsthaft bedrohen und über die Klinge springen lassen zu können, saß er wie verloren da und wirkte bei alledem eigentlich nur fade und langweilig.
    Christo sprang behende hin und her, füllte die dickwandigen Gläser zur Hälfte, goss mit kaltem Wasser auf. Dann stieß er mit Petrov an, als gelte es, sich zu beeilen. Ja, das war wirklich ein guter Tropfen, smooth und rauchig, auf keinen Fall ein gepanschter Re-Import. Beide lächelten. Aber nicht einander zu, sondern jeder für sich über etwas Eigenes.
    Â»Von heute an laufen Sie nicht mehr über uns«, begann Petrov großspurig. »Ich muss zugeben, dass Sie Ihren Pflichten gegenüber … gegenüber dem Vaterland getreulich und sorgsam nachgekommen sind.« Er tat sich schwer damit, einfach zu sagen: »gegenüber der Stasi«.
    Â»Ich danke Ihnen für die hohe und schmeichelhafte Beurteilung.«
    Â»Von heute an sind Sie frei.«
    Â»Wirklich frei?«
    Â»Ja, vollkommen frei. Dies ist unser letztes Treffen … zumindest in diesen Räumlichkeiten. Sollte es erforderlich sein, werden wir uns an anderem Ort wiedersehen.«
    Â»Und … wird das erforderlich sein, Herr Major?«, fragte Christo dreist. »Ich frage nur, weil Sie sagten: ›vollkommen frei‹.«
    Â»â€ºVollkommen‹ heißt ja nicht ›für immer‹.«
    Â»Sie wollen sagen …« Christo spürte, wie ihm wieder übel wurde in der Gegenwart dieses Menschen, der sich aus allem herauswand, sich überall ein Hintertürchen offen ließ.
    Â»Weiß nicht …« Dem Schmerz in seiner Stimme nach zu urteilen, sagte er die Wahrheit.
    Christo goss noch einmal dieselbe Menge Whisky nach. Wieder lächelten sie. Wieder jeder für sich.
    Â»Sie beginnen ein neues Leben … Ich hoffe, es wird angenehm und sinnerfüllt sein«, sagte der Major, gelockert von dem hochprozentigen Tropfen. »Ich würde mir wünschen, dass Sie auch nützlich wären für … für uns alle, für die

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