Seelenasche
geschickt gestrickten Denunziationen vorsätzlich und zielgerichtet solche Personen der Verfolgung überantwortet, die in rücksichtslosem Egoismus gehandelt haben und dafür auch bereit waren, anderen Leid zuzufügen. Als ich diesen geheimen Sinn Ihres dreisten Vorgehens erfasste, war ich zutiefst erschüttert, zugleich aber auch war dies der Moment, in dem ich begann, den Hut vor Ihnen zu ziehen. Meine Pflicht wäre es dennoch gewesen, Sie zu melden und Ihrerseits dem Apparat zu überantworten. Aber ich halte es nicht für meine Bestimmung, zu bestrafen, sondern mit den Mitteln und Techniken der Aufklärung, eines entwickelten Spürsinns und klaren Verstandes Dinge herauszufinden, auszugraben und in ihrer Bedeutung für das Gemeinwesen zu bewerten, und nur als Ultima Ratio auch zu Gewalt zu greifen!
Ich habe Ihnen ebenfalls kein Wort geglaubt, als Sie in Ihrer Wehrdienstzeit Ihren Regimentskommandanten denunziert haben, Sie wissen doch, diesen Major Widenov ⦠Ebenso wenig nahm ich Ihre Berichte über Kommilitonen und Professoren an der Universität ernst, später über Ihre Vorgesetzten im Ministerium inklusive Minister Sdravkov. Aber ⦠je erdrückender die Indizien davon zeugten, dass Sie logen, desto mehr glaubte ich Ihnen. Ãberspitzt könnte man sagen: In dem Moment, in dem ich Sie als Informant aufgab, hatten Sie mich für Ihre Sache gewonnen, auch menschlich. Ich verfolgte Ihr Tun und Treiben aus immer gröÃerer Nähe, war inzwischen General geworden, und delegierte die Lektüre aller Spitzel, die ich zuvor angeworben hatte, so richtig, intelligent und gut kombiniert sie auch waren, an meine Untergebenen; nur Ihre Berichte lieà ich mir nicht nehmen! Diese unverhüllten Lügengebilde gaben mir einfach die genaueste Vorstellung davon, was die Leute wirklich denken, und so konnte ich mir eine hervorragende Vorstellung davon machen, was in der Gesellschaft vor sich geht, welche Leute welche Leichen im Keller haben. Da haben Sie den Grund für meine Wertschätzung, meine groÃe Verbundenheit, die mich Sie schlieÃlich als Sohn empfinden lieÃ!
Ich gelange nun zum wichtigsten Punkt.
Sie werden sich vielleicht ein wenig verblüfft fragen, warum ich diese Rundreise durch Ihre Seelenlandschaft unternommen habe, ja, wozu dieser ganze Brief überhaupt gut sein soll? Ich will Ihnen die Gründe gleich nennen:
Erstens: Gerade Ihr unkonventionelles Verhalten, das dem eines Kamikaze-Fliegers gleichkommt, hat mich von Ihrer sittlichen Reinheit überzeugt, und dies bedeutet, dass wir Ihnen unser Vertrauen aussprechen und Ihnen die Verwaltung und Vermehrung jener gewaltigen Geldsummen übertragen können, die wir benötigen.
Zweitens: Ich schicke Ihnen diese Bekenntnisse auch deshalb, damit Sie unzweifelhaft darüber im Klaren sind, dass Sie durchschaut sind und dass Sie, sollten Sie noch einmal die Frechheit besitzen, mich so dreist zu belügen, ich nicht mehr das moralische Recht haben werde, den Fall zu verschweigen, denn in Zukunft handelt es sich nicht mehr um das Schicksal einzelner Menschen, sondern um riesige Geldsummen, die uns allen gestohlen worden sind. Mit anderen Worten, ich möchte Sie mit diesen Zeilen warnen, dass ich beim leisesten Verdacht (und Sie können gewiss sein, dass ich Sie durchschaue wie ein Röntgenapparat) auf Veruntreuung veranlasst sein werde, meine Pflicht zu tun, und diesmal wird sich diese Pflicht nicht mehr in der Aufklärung erschöpfen, sondern vor der Vollstreckung nicht haltmachen!
Zunächst aber wünsche ich Ihnen
Gute Reise, Herr Weltschev!
Viel Glück (im doppelten Sinne) für die Zukunft und ⦠ein langes Leben!
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Immer der Ihre,
General Iwan Grigorov
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P.S.
Wenn Sie Ihn laut gelesen haben, können Sie diesen Brief nun vernichten, wenn Sie möchten, bewahren Sie ihn auf.
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Christo las den ganzen Brief noch einmal, diesmal leise. Dann wischte er sich mit dem Ãrmel die Augen ab. Er hatte seit seiner Kindheit nicht mehr geweint. Er zerknüllte die edlen Papierbögen des Briefes, warf sie in die Toilette und betätigte die Wasserspülung.
11
Sein Flieger landete um zwölf Uhr auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld, der Anschlussflug nach München aber ging erst um vierzehn Uhr dreiÃig. Wie sollte er diese peinigenden einhundertundfünfzig Minuten voller Erwartung des Unbekannten nur überstehen? Schon als er den Brief
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