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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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sondern vollkommen unpersönliches, mechanisches und möglichst perfektes Funktionieren. Dazu war eine Abstumpfung erforderlich, die den Soldaten gar nicht mehr in Versuchung brachte, über Sinn und Zweck eines Befehls nachzudenken. Er musste in blindem Gehorsam auch den größten Blödsinn als göttliche Weisung befolgen.
    Christo machte aber bald auch eine andere Entdeckung. In der Kaserne ist das Äußere, das Aussehen das Allerwichtigste; Inhalt interessierte hier nicht. Er würde nie vergessen, wie sie an einem heißen Augusttag nach langer Trockenheit die Rasenflächen grün anstreichen sollten, weil der Kriegsminister und der Leiter des Generalstabs zur Inspektion in der Kaserne erwartet wurden. Es galt zu zeigen, dass nicht einmal ein trockener Sommer der Moral der Truppe etwas anhaben konnte, die ihre Kaserne unter allen Umständen immer tipptopp in Schuss hielt. Die Anstreichaktion fand in der Nacht statt, mit einfacher Wandfarbe. Am Ende kam der Minister gar nicht, dafür fiel ein sturzbachartiger Regen und wusch die ganze Herrlichkeit im Nu wieder ab.
    Ein anderer Fall für ein Guinness-Buch der Absurditäten war die Sache mit der freiwilligen künstlerischen Tätigkeit. Der Drittplazierte erhielt für sein Werk fünf Tage Heimaturlaub, der Zweitplazierte zehn Tage Heimaturlaub, dem Sieger aber wurde die Ehre zuteil, dass sein Foto vor die Flagge geheftet wurde.
    Die ganze innere Mischung aus Wut und Widerwillen vor diesem Absurdistan aus Freiheitsentzug und Entpersönlichung lief für Christo in der Person seines Truppenkommandanten zusammen. Der war ein kleingewachsenes Männchen, wieselflink und quirlig, dessen Augen ununterbrochen hin und her schossen, um einen Regelverstoß entdecken und bestrafen zu können. In seiner Hand ließ er nervös ein Kettchen spielen. Dieser Widenov, der schon ordentlich Dienstjahre auf dem Buckel hatte, war jähzornig und rachsüchtig. Vielleicht machte es ihm ja zu schaffen, dass er es in all den Jahren nur bis zum Major gebracht hatte. Er schien auch Probleme mit seiner Potenz zu haben, denn er sprach ununterbrochen von Frauen. Einigen Rekruten ließ er fast alles durchgehen, und man munkelte, dass deren Väter ihm regelmäßig ein Spanferkel oder ein Lamm zukommen ließen; gegen die anderen zeigte er unbarmherzige Härte. Einmal brummte er Christo eine ganze Woche Wachdienst auf, bis er vor Übermüdung und Schlafentzug bei einer Wehrübung Nasenbluten bekam und in Ohnmacht fiel. Widenovs Hauptvergnügen war, seine Untergebenen bei dreißig Grad Celsius in Gasmaske und voller Montur auf Gewaltmärsche zu schicken. Sie rannten zehn Kilometer bis zum See in Kajlaka und zurück, das Maschinengewehr und den Klappspaten geschultert, Feldflasche und Seesack schlugen gegen den Laufrhythmus aneinander. Sie liefen, bis ihre Lungen pfiffen, auf ihren Lippen schäumten die Flüche. Im Frühjahr kommandierte Major Widenov sie ab, den Weingarten seiner Schwester umzugraben, im Sommer, das Fundament seines Wochenendhäuschens einzugießen, und eines regnerischen Sonntags trieb er es zu weit, strich ihnen den Ausgang und ließ sie die Gräben für die Wasserleitungen ausheben.
    Noch am selben Abend schrieb Christo seinen ersten Bericht über Widenov. Ausführlich schilderte er »diese Auswüchse persönlichen Missbrauchs« und fügte für alle Fälle noch hinzu, dass Major Widenov kaum Wert darauf lege, das sowjetische Soldatenliedgut zu pflegen. Nach der Rückkehr vom Gewaltmarsch zum Kajlaka-See habe er ihnen nicht erlaubt, die Hymne auf den Genossen Budoni zu singen, in deren Text es so herrlich heiße: »Wohl ihm, dem Genossen Budoni, unserm strahlenden Adler in lichten Höhn …« Da er befürchtete, dass Briefe im Postausgang geöffnet und gelesen wurden, öffnete Christo, auf die Gefahr hin, dafür in den Karzer zu kommen, das Fenster zur Straße und bat ein vorübertänzelndes Wesen im Minirock, den Umschlag direkt in der Post aufzugeben. Das Mädchen lächelte verschmitzt, glaubte wohl, er sei verliebt und schreibe an seine Flamme.
    Nach zwei Wochen rief der Leiter der militärischen Gegenaufklärung beim Regiment, der sich als Schwager Major Widenovs herausstellte, die Rekruten einzeln in sein Dienstzimmer und schrie sie, krebsrot und schwitzend, mit vibrierendem Trommelbauch und bebendem Schweinsnacken, einzeln

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