Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
Vom Netzwerk:
Kniffs zu erweisen.
    Â»Fertig, Genosse Weltschev, weil … genau so doch, nicht wahr, Genosse Weltschev?«
    Â»Wann lernst du mal, mich zu duzen, damit ich dich zum Abendessen in den Russischen Klub einladen kann?«
    Aus dem Spiegel schaute ihn ein ansehnlicher, selbstsicherer Mann an, dem alles bis zum Überdruss geläufig war, sogar sein gutes Aussehen. Unvermeidliche déformation professionnelle: Wenn ein Mensch sich so oft selbst sehen muss, hat er irgendwann keine Illusionen mehr.
    Im Studio saßen seine Gesprächsteilnehmer bereits um den runden Tisch, dessen eines Bein ein wenig wackelte – aber das wusste nur Jordan. Die Männer hinter den Bullaugen der Kameras glichen selbst ein wenig Robotern. Die gelehrten Männer davor schwiegen gediegen, wohl auch irritiert vom grellen Licht der Scheinwerfer; die vielen Leitungen und Mikrofone, die dem Raum die Atmosphäre einer Garagenwerkstatt verliehen, schüchterten sie ein.
    Einer war Professor für Mikrobiologie, einer für Jura und einer für Mathematik; der vierte war ein bekannter populärwissenschaftlicher Autor, der auch Sciencefiction-Storys schrieb, und der fünfte Professor für Physik. Sie hatten nur eine vage Vorstellung von dem folgenden Gesprächsverlauf, denn Jordan gab seine Fragen niemals vorab bekannt.
    Â»Wir können loslegen«, platzte Ilianas Stimme über den Lautsprecher ins Studio. »Die Kameras laufen.«
    Jordan schaute in den Monitor vor sich; das Ergebnis war zu seiner vollen Zufriedenheit. Sein Lächeln, unwiederstehlich zerstreut, glich einem gut eingelaufenen, aber auf Hochglanz polierten Halbschuh. Damit brauchte er sich vor dem Cover keines Hochglanz-Magazins zu fürchten. Was diese seine Marotte anging, so liebte er es zu sagen: »Besser, dich tritt einer mit einem Ballett- oder Lackschuh in den Hintern als mit nem hartledernen Arbeitsschuh oder Soldatenstiefel.«
13
    Emilias Lieblingstisch befand sich in der mittleren Sitzecke genau unter der firnisdunklen Kopie eines Gemäldes von Wladimir Repin mit dem Titel Die Saporoger schreiben einen Brief an den Sultan , gegenüber dem pompösen, in seiner eigenen Pracht ertrinkenden Kamin, in dem nie jemand Holzscheite hatte lodern gesehen, und der nun mitsamt seines Abbildes im Kristallspiegel nur Kühle verbreitete. Die Luft im Russischen Klub war finster und verraucht. Emilia wirkte müde. Ausgelaugt von ihrem Auftritt, bestellte sie sich statt eines Aperitifs erst mal eine Flasche tschechischen Bieres gegen den Durst. Dann orderten sie Koteletts nach Moskauer Art und Weißwein. Der Misket aus Karlowo funkelte wie ein geschliffener Topas, hatte aber eine störende Restsüße. Sie aßen hastig und ohne rechten Appetit. Beide waren sie bis zum Abwinken berühmt, und das isolierte sie nur noch mehr.
    Â»Und … was meinten deine Professoren?«, fragte Emilia ohne rechtes Interesse.
    Â»Nichts Besonderes! Oder das Gegenteil … Sie meinten, das grundlegende Kriterium für die Vernunftbegabung des Menschen drücke sich im Versuch aus, die Entropie zu verringern. Ich hielt dagegen, das Hauptkriterium sei doch die Moral.«
    Â»Es stimmt doch auch, dass die Moral es ist, die sich dem Chaos widersetzt«, unterstützte ihn Emilia.
    Â»Ihre Antwort war, Moral sei ein Produkt des Verstandes, nicht aber seine notwendige Bedingung. Die langlebigen Elektronikwesen mit künstlicher Intelligenz würden gebraucht, damit wir eines Tages das Weltall besiedeln könnten. Ach ja, und der Phantastik-Autor empfahl mir, ich solle mal Isaac Asimov lesen. Die Cyborgs der Zukunft würden so programmiert sein, dass sie den Menschen grenzenlos lieben …«
    Â»Na, den hast du sicher ordentlich gedeckelt?«
    Â»Ich hab ihm erklärt, dass das nicht das Problem sei, sondern ob der sterbliche Mensch in der Lage sein werde, eine Bindung an seinen unsterblichen Roboter zu entwickeln. Ich habe ihn gefragt, ob er wisse, was das Wort ›Neid‹ besage. Kurz: Die Sendung ist der absolute Knaller geworden!«
    Â»Daran zweifle ich nicht.«
    Â»Wie alles auf der Welt nährt sich auch das Interesse am Runden Tisch vom Skandalösen, Widersprüchlichen und von querköpfigen Meinungen«, seufzte Jordan mit Leidensmiene. »Wenn es mir also gelingt, unter meinen Gesprächsteilnehmern Streit zu entfachen, dann haben die Zuschauer das Gefühl, Zeuge von etwas Authentischem und

Weitere Kostenlose Bücher