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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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ich fragen darf?«
    Â»Von Beruf bin ich Jurist.«
    Â»Interessant«, sagte Kissoff unbestimmt und trat gerade noch rechtzeitig, bevor sie einem BMW die Heckpartie demolierten, auf die Bremse. »Sogar höchst interessant.«
    Â»Ich rauche zu viel, und Sie fahren zu schnell«, stellte Christo ohne Vorwurf in der Stimme fest. »Sollen wir nicht lieber in irgendeiner Kneipe landen als im Krankenhaus?«
    Â»Sie haben recht. Dieses Risiko beim Schnellfahren kitzelt das Adrenalin so schön und gehört zu den letzten Vergnügen, die mir noch geblieben sind.«
    Â»In der SSC, beim Geschäft mit den kleinen Silberscheiben, haben Sie aber nie riskiert.«
    Â»Die SOUND & SOFTWARE COMPACT GmbH gehört ja auch nicht mir, sondern dem bulgarischen Staat«, antwortete der Mann leise, fast flüsternd und musste schon wieder in die Eisen steigen, weil die Ampel vor ihnen auf Rot gesprungen war.
    Petrov hatte ihn in ihrer Vorbesprechung auf eine solche Auskunft vorbereitet, aber Christo konnte sich im Moment nicht erinnern, was er darauf antworten sollte. Der frischgebackene Oberstleutnant hatte ihm durch die Blume und mit vielen Andeutungen erklärt, dass in den achtziger Jahren die ineffektive bulgarische Staatsmonopolwirtschaft erheblich ins Stocken gekommen war, was zu einer hohen Verschuldung mit der Gefahr des Staatsbankrotts geführt habe. Da sei »beinahe im Verborgenen«, das heißt, »auf höchster Ebene« und ohne dass selbst alle Mitglieder des Politbüros Bescheid wussten, der Entschluss gefasst worden, Firmen im Westen entweder aufzukaufen oder neu zu gründen: in Italien, Frankreich, Spanien, den Niederlanden und vor allem in der BRD, der Bundesrepublik Deutschland. Diese Firmen hätten legalisiert werden können, weil man einen kleinen Teil des Firmenkapitals oder der Aktien Strohleuten vor Ort mit der entsprechenden Staatsangehörigkeit übertragen hätte. Georg Kissoff zum Beispiel hielte einen sechsprozentigen Anteil an der SSC GmbH, einer kleinen, aber mobilen und konkurrenzfähigen Firma mit Sitz in Westberlin, die sich ausgesprochen profitabel entwickle. Sie produziere Datenträger und die in den achtziger Jahren in Mode gekommenen CDs, aber auch Software für Banken, Institutionen und Rentenfonds.
    Â»Entschuldigen Sie, Ihr ursprünglicher Familienname war doch Kissjov, nicht?« Christo versuchte durch dieses simple Ablenkungsmanöver, nicht auf die Ausführungen Kissoffs eingehen und so seine blanke Unkenntnis offenbaren zu müssen. Aber der alte Fuchs roch den Braten und seufzte gereizt.
    Â»Ja, ganz recht. Vor seiner Auswanderung nach Österreich hieß mein Vater Pawlin Kissjov.«
    Das Hotel, vor dem sie hielten, hieß An der Oper und war klein, aber fein und sehr teuer. Die Zimmer waren riesig und mit Möbeln im Barockstil eingerichtet, die offenbar sogar echt waren, denn ihr Holz roch nach Restaurierung und echter Aristokratie. Christo nahm eine Dusche, fühlte sich danach aber nicht erfrischt, sondern einfach nur gereinigt. Georg Kissoff wartete unten in einer der mondänen Sitzecken mit einer Flasche Champagner. Sie leerten sie mit der Ungeduld von Leuten, denen das Zusammensein schwerfällt, und bestellten eine zweite. Danach wollte Christo lieber wieder zum Whisky übergehen. Erst da schmolzen das Unbehagen und die Verachtung des alten Mannes dahin wie das Eis in seinem Kristallglas. Die Augen Kissoffs begannen feucht zu werden, als weine er. Die mattierten Deckenleuchter blendeten sie. Die Tischchen waren mit weißem Lack gestrichen, die eingefrästen Rinnen vergoldet. Stühle und Spiegel wirkten so schwer und statisch, dass sie einen Menschen mit wackligem Selbstbewusstsein ziemlich runterzogen. Endlich wurde ihnen langweilig, weil die ungute Spannung zwischen ihnen aufgehört hatte. Da bat Christo:
    Â»Können wir nicht irgendwo hingehen?«
    Â»Und wohin?« Nun lag schon Mitgefühl in Kissoffs Stimme.
    Â»Wo die Dinge einfach sind … wo alles sonnenklar ist«, bat Christo.
    Im Taxi schwiegen sie. Dann erzählte Georg ihm, dass das Lokal, in das sie fuhren, nicht einfach nur typisch bayrisch sei, sondern auch echt volkstümlich. Es sei die Lieblingsgaststätte Adolf Hitlers gewesen. Als sie das Hofbräuhaus betraten, war es zu Christos Erleichterung brechend voll, verraucht und laut. Bei diesem Lärmpegel konnten sie einander unmöglich verständigen und in

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