Seelenasche
gediegen, und von weichem Licht erhellt. Der lange Konferenztisch war mit Blumenschmuck überhäuft. In der Mitte kreuzten sich die Fähnchen Bulgariens und Deutschlands, am Ende standen Eiskübel mit Dom-Pérignon-Flaschen und Tabletts mit HorsdâÅuvres. Christo sah Lachs, roten und schwarzen Kaviar.
Die Zwillingsbrüder Heinrich und Markus Goldmann hatten kluge, durchdringende Augen, ihr Haar war schlohweiÃ, ihre Haut so auffällig transparent, wie es für Albinos typisch ist. Der Notar war ebenfalls ein alter Mann, seine Gesichtshaut von der Farbe vergilbten Zeitungspapiers. Junge, gutaussehende weibliche Bedienstete in strengem Business-Look standen in gebührender Entfernung für alle Eventualitäten bereit. Wenn er gefragt wurde und Kissoff nicht übersetzte, gab Christo mechanisch Antwort in brauchbarem Englisch. Mit Erleichterung nahm er die Zigarre, die man ihm anbot, denn obwohl er sich im Hotel die Zähne mehr als gründlich geputzt hatte, spürte er, dass er Mundgeruch und eine üble Alkoholfahne hatte. Passend zum Licht strömten gedämpft die leichten Klänge von Mozarts Kleiner Nachtmusik in den Raum. Oder bildete er sich das mit seinem Brummkopf nur ein?
Dann kam der Moment, in dem die Verträge zur Unterzeichnung vorgelegt wurden. Die Gebrüder Goldmann lächelten, die Gehilfinnen huschten flink hin und her, schlieÃlich trat Stille ein, die schamlose Stille der bedingungslosen Kapitulation. Christo überflog die Vereinbarungen noch einmal, obwohl er sie bereits kannte. Die SOUND & SOFTWARE COMPACT GmbH würde für zweiundfünfzig Komma sechs Millionen Deutsche Mark an die Goldmann & Co. KG gehen, die sich eigentlich mit Lebensmittelhandel beschäftigte und eine internationale Supermarktkette besaÃ; aber das Angebot war wirklich so unglaublich günstig gewesen, dass sie es unmöglich ausschlagen konnten.
Er nahm den alten Montblanc-Füllfederhalter mit goldener Feder, der â er spürte es in seiner Hand â die ganze gespannte schamlose Erwartung magnetisch anzog. Heinrich und Markus Goldmann beobachteten ihn nicht einfach nur, sie belauerten ihn geradezu wie ein Insekt in der Falle. Würde dieser Dummkopf es wirklich tun? Christo aber beugte sich einfach vor und unterschrieb den Vertrag als juristisch bevollmächtigter Inhaber der SOUND & SOFTWARE COMPACT GmbH. Nach ihm tat Georg Kissoff mit der gequälten Miene eines an Gicht leidenden Seniors dasselbe. Der Notar seufzte erleichtert auf und begann, den Vertrag mit Petschaft und Schnur für alle Zeiten zu beglaubigen. Im Anschluss daran wurden, so als müssten die Gemüter noch einmal beruhigt werden, mit unterschwelliger Ironie die abgesprochenen Zahlungsformalitäten wiederholt, auf welche Banken welcher Betrag wann einzuzahlen sei; dann lieà ein Piccolo in weiÃer Livree den Champagnerkorken knallen und goss den edlen Schaumwein in die Gläser. Christo unterlieà es vorsichtshalber, zu den schweren Kaviarhäppchen zu greifen, um seinen Magen nicht unnötig zu provozieren, nahm sich aber eine weitere Zigarre, an der er sich auch schön festhalten konnte, um nicht in den gähnenden Abgrund zu stürzen, der sich nun vor ihm auftat.
Die Gebrüder Goldmann gaben ein Abschiedsessen in dem â wie sie sich ausdrückten â »von der Geschäftswelt bevorzugten« Restaurant Capitolia, einem Gastronomiebetrieb von geradezu aufdringlicher Erlesenheit. Sie tranken ein sündhaft teures, fast vierzig Jahre altes Hochgewächs aus Bordeaux; dazu aber aÃen sie Ente, die ganz und gar nicht zu den teuren Speisen auf der Karte dieses Feinschmeckertempels gehörte. Um zehn Uhr abends hörte der Pianist auf zu spielen und gab damit gleichsam zu verstehen, dass auch ihre Gemeinsamkeiten hier endeten. Als sie schon am Ausgang waren, konnte einer der Zwillinge (Christo konnte sie nicht auseinanderhalten) sich nicht länger zurückhalten und fragte mit teilnahmslosem Lächeln:
»Könnten Sie mir vielleicht trotzdem sagen, Herr Weltschev, wieso Sie die SSC eigentlich abstoÃen wollten? Die Firma steht doch glänzend da!«
Auch diese naheliegende Frage war selbstverständlich vorausgesehen worden. Nach Plan sollte Christo darauf antworten, dass er beschlossen habe, seine verstreuten Geschäfte aufzugeben und sich fortan auf Bulgarien zu konzentrieren, da er nach der demokratischen Wende dort all seine
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