Seelenasche
an:
»Warte nur, wenn ich herausbekomme, dass du das warst, ich reià dir die Eier ab und stopfe sie deiner Schwester ins Maul.«
»Ich habe keine Schwester«, erwiderte Christo klar und mit fester Stimme, »und möchte Sie bitten, sich bei mir zu entschuldigen!«
»Hab ich richtig gehört?« Der Oberstleutnant kriegte den Mund nicht zu vor ungläubigem Erstaunen. »Da hast du deine Entschuldigung, du Arsch, du beschissener ScheiÃkerl!«
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Christo musste laut lachen bei dieser Erinnerung. Er musste aussehen wie einer, der sie nicht alle beisammenhatte. Bar jedes sichtbaren Grundes, chaotisch und heiser, kullerte sein Lachen um die Tischchen, zog die Aufmerksamkeit der daran sitzenden Gäste auf sich und verlief sich im grauen Licht. Der Barkeeper wandte sich zu ihm um und schaute ihn tadelnd an. Aber auch er konnte Christo die Angst vor dem Kommenden nicht nehmen.
12
Der Münchner Flughafen kam ihm riesig, verschlungen und verwirrend vor, wie ein Labyrinth, auf dem nicht Flugzeuge und Passagiere ankamen, sondern die Zeit selbst, die aus allen Teilen der Welt zur dortigen Ortszeit startete und in einer anderen, der Münchner Ortszeit, landete, um schlieÃlich in eine andere Zeit weiterzureisen. Ein Herr Georg Kissoff sollte ihn in Empfang nehmen. General Grigorov hatte ihn vorgewarnt: »Passen Sie auf, der ist eigen, was seinen Namen betrifft, der will, dass man ihn Georg nennt, und nicht Georgi, und seinen Nachnamen will er nicht mit âºvâ¹, sondern mit Doppel-âºffâ¹ am Ende geschrieben haben!« Und da stand er auch schon, der Exil-Bulgare mit dem eingedeutschten Namen, und lugte mit einem Schild unter den Wartenden hervor, auf dem mit rotem Filzschreiber stand: SOUND & SOFTWARE COMPACT GmbH.
Kissoff war im Alter von fünf Jahren als Kind jener alten Emigrantengeneration, die noch vor der kommunistischen Machtergreifung 1944, oft auch auf der Flucht vor dieser, ausgewandert war, mit seinen Eltern nach Ãsterreich gekommen und nach dessen »Anschluss« 1938 automatisch im Deutschen Reich gelandet. Er hatte sich aber die slawische Herzlichkeit bewahrt und sprach ein erstaunlich reines Feine-Leute-Bulgarisch. Christo sah ihm den Junggesellen auf den ersten Blick an, denn Kissoff war sehr auf sein ÃuÃeres bedacht und rieb sich gern die Hände. Sein Haar war farblos und umstand seinen Kopf wie dünner Flaum. Seine Augen schauten besorgt, oder war es Misstrauen? Nach so viel Whisky schwer zu sagen für Christo. Um seine Alkoholfahne zu verbergen, steckte er sich eine Zigarette an der anderen an. Sie verluden seinen Koffer in den gemieteten Mercedes und brausten los. Trotz seiner vorgerückten Jahre fuhr Kissoff einen heiÃen Reifen. Durch den Nieselregen passierten sie das Opernhaus, in der Ferne sah er zwischen Häuserzeilen die Silhouette des alten Rathauses. Er hatte schon wieder einen ordentlichen Brand. An dem Platz vor ihnen sah er eine Gastwirtschaft.
»Nennen Sie mich Georg, das ist leichter für beide Seiten«, sagte Kissoff und schaute Christo angespannt, mit kaum verhüllter Verachtung an, »denn bis morgen müssen wir ein eingespieltes Team sein.«
»Gut. Georg.«
»Bitte gestatten Sie mir die Zudringlichkeit, wenn ich Sie ebenfalls mit Ihrem Vornamen anrede, Christo.«
»Mit Vergnügen, natürlich, Georg.«
»Sie rauchen ja schrecklich viel«, bemerkte Kissoff, von Christos Einsilbigkeit gelangweilt, mit belehrendem Unterton, »das ist nicht gut.«
»Sie haben recht.«
»Verzeihen Sie, Herr Weltschev, aber wie kommt es, dass ich Sie nie gesehen habe? Das ist doch irgendwie merkwürdig, finden Sie nicht?«
»Irgendwie schon«, erwiderte Christo auf Kissoffs ironisch-spitz vorgetragene Frage.
»Ich habe Ihren Namen auch nicht in den Unterlagen gefunden, die Herr Zonev für gewöhnlich unterschrieben hat.«
»Zonev war mein Assistent.«
»Ich hatte aber nicht den Eindruck, dass Zonev unter einem Vorgesetzten arbeitete.«
»Er war mein nächster Vertrauter.«
Christo war wirklich schwer betrunken, und das hinderte ihn einerseits daran, das Szenario plangemäÃ, wie mit Oberstleutnant Petrov auf der BiglastraÃe einstudiert, durchzuspielen, andererseits schützte es ihn vor dem bereits lauernden Anfall von Selbstverachtung, dem Einfallstor für die wilden Horden der Verzweiflung.
»Und womit beschäftigen Sie sich, wenn
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