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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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gewissem Sinne auch nicht erkennen. Vielleicht gab die Einsamkeit, die jeder von ihnen empfand, ihnen den Mut, zusammen zu sein. Sie bestellten jeder eine Maß Bier. Naturtrüb. Am Nebentisch saßen alte Männer in grünlicher Landestracht, die sich an den Schultern fassten und erst zu singen und dann zu schunkeln begannen im Takt einer Melodie, die nach einem forschen Militärmarsch klang. So wuchsen sie langsam zu einer Einheit zusammen, die anfangs Kraft und schließlich Bedrohung ausstrahlte, einem bacchanalischen Rausch, der durch nichts aufzuhalten war. Georg Kissoff beugte sich zu seinem Ohr herab und überschrie den Lärm.
    Â»Bei so was könnte ich heulen!«
    Â»Nicht doch! Das bringt ja auch nichts!«
    Â»Ich hab Sie auch in Berlin nicht gesehen, als wir die gesamte Firmenkommunikation computerisiert haben. Die SSC steht jetzt picobello da, auf dem allerneuesten Stand der Technik.«
    Â»Wirklich?«
    Â»In spätestens einem Monat haben wir die Software für die Deutsche Bank fertig, und wenn der Kunde damit zufrieden ist, dann bekommen wir gleich zwei Anschlussaufträge.«
    Â»Schau an, freut mich zu hören.«
    Â»Will sagen: Ich verstehe nicht, warum wir die SSC verkaufen. Die Firma brummt doch!«
    Georg Kissoff war nun spürbar ebenfalls betrunken. Er tauchte sein Gesicht in die riesige Maß und wischte sich anschließend mit dem Ärmel den Schaum vom Mund ab.
    Â»Das frage ich mich auch«, stieß Christo aus, als fiele ihm ein Stein vom Herzen. Dann stand er schwankend auf und bahnte sich den Weg zur Toilette.
13
    Am anderen Morgen wurde er von der Rezeption um acht Uhr geweckt. Er kam kaum aus dem Bett, so zerschlagen fühlte er sich nach der Alkoholorgie vom Vortag. In seinem Mund hatte er einen sauren Geschmack, in seinem Kopf – wattige Leere. Immerhin gelangte Christo zu der weisen Feststellung: Gott sei Dank bin ich noch betrunken!
    Beim Rasieren zitterte seine Hand, sodass er sich schnitt. Zehn Minuten blieb er unter der Dusche stehen, begann heiß und endete mit kaltem Wasser. Um zwanzig vor neun klopfte es an seiner Zimmertür. Er öffnete. Georg Kissoff stürmte ins Zimmer, mit vom Rasieren noch bläulichen Wangen und ungläubigen Augen. Er sah auch nicht viel besser aus, ein Fotomodell, das von Autogrammjägern etwas derangiert worden war und seine Bewegungen noch nicht so recht koordinieren konnte.
    Â»Wir kommen zu spät«, sagte er. »Wenn Sie wollen, können Sie unten noch schnell einen Kaffee trinken, aber für ein Frühstück ist keine Zeit mehr.«
    Â»Das würde sowieso nicht drinbleiben«, antwortete Christo, »aber ich würde gern hier drinbleiben.«
    Â»Ich wäre auch lieber im Bett geblieben«, sagte Kissoff und glättete den Flaum auf seinem Kopf.
    Christo öffnete sein Diplomatenköfferchen und wühlte darin nach den Unterlagen, die er zu prüfen hatte. Irgendwann merkte er, dass deren Zustand ihn gar nicht interessierte, er nur rein mechanisch wie eine aufgezogene Puppe die trockenen und brutalen Anweisungen Oberstleutnant Petrovs befolgte, die er sich in Sofia genau hatte einprägen sollen. Er wollte nur alles möglichst schnell hinter sich bringen, es abhaken. Als spüre er seine Unlust, fasste Kissoff ihn am Sakko und brachte heraus:
    Â»Sie sind nicht so ein Mensch!«
    Christo zuckte bei diesen Worten, die ihn an seine Eltern erinnerten, zusammen.
    Â»Was denn für ein Mensch?«
    Â»Das hab ich schon am Flughafen gespürt«, ergänzte Kissoff.
    Sollte das nun Ausdruck einer Hoffnung sein, oder ein Vorwurf? Er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, denn sie hatten es wirklich sehr eilig, und bei dem selbstmörderischen Tempo, mit dem Kissoff sich durch die verkehrsreichen Münchner Hauptstraßen schlängelte, war es auch besser, er schaute nach vorn, um sich nicht zu übergeben.
    Sie verspäteten sich nur fünf Minuten. Die Büroräume der Gebrüder Goldmann befanden sich unweit des kleeblattförmigen BMW-Turms. Makellos zurechtgemachte lächelnde Empfangsdamen erwarteten sie schon unten in der Eingangshalle und liefen dann flink auseinander, als hätte jemand von oben einen Eimer Waschwasser über ihnen ausgeschüttet. Das Tempo des Aufzugs erinnerte ihn an Kissoffs Fahrstil, und er hätte sich wieder beinahe übergeben. Sie wurden in den Sitzungssaal der Firma geführt, großräumig,

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