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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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rechtsgültig.«
    Â»Im Ernst?«, fragte Emilia, nur um etwas zu sagen.
    Â»Aber absolut todernst!« Katja verschluckte sich vor lauter Aufregung. »Nicht wahr, wir haben ja auch völlig freiwillig diesen Wisch da unterschrieben … Und ich hab alles da reingesteckt in diese Geldanlage bei dir, hab unseren Lada verkauft, das Silberbesteck meiner Schwiegermutter …«
    Â»Nicht bei mir«, bremste Emilia sie mit wachsender Abwehr, »sondern bei Lucky Strike & Co. Und da sind ja nicht nur deine Gelder, sondern auch meine, wie du weißt. Theo Sotirov hat sogar sein Wochenendhaus verkauft, um so viel Geld wie möglich attraktiv anlegen zu können.«
    Â»Was heißt denn hier ›attraktiv‹?«
    Â»Na, je höher die Einlage, desto höher die Zinsen«, machte Emilia sich Mut. Um ihre wachsende Unruhe zu kaschieren, begann sie zu rauchen, wenn auch keine Lucky Strike. »Wie viele Leute hast du denen denn noch angeschleppt?«
    Â»Morgen wollte ich noch einen Vetter meines Mannes hinbringen, mit dem wären es acht.«
    Â»Na, wenn du Bedenken hast, dann heb dein Geld doch wieder ab … und verlier vierzig Prozent Zinsen!«
    Â»Unsere zwei Buchara-Teppiche hab ich auch verkauft«, setzte Katja Peteva ihre fiktive Verlustrechnung fort. »Die, die mein Schwiegervater vor 1944 in Istanbul gekauft hatte. Ach ja, und die Sammlung von Taschenuhren meines Mannes; der hätte mich beinahe erschlagen …«
    Â»Ich halte die Leute für anständig. Hab mich vorgestern noch mit Herrn Milanov getroffen«, log Emilia, »und hatte den Eindruck, dass er ein wirklich seriöser Geschäftsmann und echter Gentleman ist. Aber wenn du solche Angst um dein Geld hast …«
    In der Telefonmuschel trat eine lange, angespannte Stille ein, die sich so anhörte, als würde eine Verbindung zu einer fernen Welt aufgebaut. Emilia hatte das Fenster geschlossen, um die Hitze auszusperren, aber jetzt flogen diese grün schillernden, wild gewordenen Fliegen dagegen, die in Scharen durchs Wohnzimmer kreisten und den ganzen Nachmittag mit ihrem Gesumme zersägten.
    Â»Bist du dir wirklich sicher? In Warna haben sich nämlich schon zwei umgebracht, und einen armen Rentner haben sie gerade noch gerettet. Der wollte sich mit Mäusegift das Leben nehmen, stell dir vor, mit Mäusegift!«
    Länger als bis zum nächsten Tag hielt Emilia die Ungewissheit nicht aus. In der größten Hitze machte sie sich auf den Weg zu Lucky Strike & Co. Der Augusthimmel war dünn und bleich wie ein zerschlissenes Linnen, auf dem weichen Asphalt des Levski-Boulevards stand in Pfützen das überschüssige Licht, die Gehsteige und Schindeldächer der niedrigeren Häuser krümmten sich in der flimmernden Luft. Es roch nach Staub und erhitztem Stein, nach Reifengummi und verbranntem Benzin. Sofia lag in der Agonie des Sommers.
    Die Geschäfte hatten sich inzwischen eines nach dem anderen wieder mit Ware gefüllt, sogar mehr und bunter denn je quollen die Regale über. Das Problem war nur, dass die Leute kein Geld hatten, zu kaufen. Emilia vertiefte sich in ein glänzendes, geschmackvoll dekoriertes Schaufenster mit reduzierten Damenstiefeln. Ihre waren bereits abgelaufen und nicht mehr wasserdicht. Sie könnte doch eigentlich einen kleinen Betrag von ihrem Konto abheben und sich und ihre Tochter Dessislava mal neu einkleiden?
    Das Büro von Lucky Strike & Co. befand sich, wie sie wusste, längst nicht mehr in jener Plattenbauwohnung, in der sie noch mit Theo gewesen war. Die Firma residierte jetzt in einem stattlichen Haus mit einladender Fassade auf der Moskowska-Straße, die sich hinter der Newski-Kathedrale, dem roten Backsteinbau der ältesten und namengebenden Basilika der Stadt, Sweta Sofia, und dem Zarenschloss bis zum Parteigebäude erstreckte. Der Eingangsbereich schimmerte golden wie eine Ikonostase. Der Wachmann am Eingang, ein junger Mann mit Boxernase und faulen Zähnen, prüfte mit wichtigem Gesichtsausdruck ihre Karte, durchsuchte sie nach Waffen und ließ sie schließlich passieren. Sie ging die gewundene Treppe hinauf ins Obergeschoss, kam außer Atem, hielt an. Die ganze gegenüberliegende Wand war tapeziert mit Fototapete, die Goyas Bild Die nackte Maja zeigte, aber per Computer aus Hundert-Dollar-Noten zusammengesetzt. Auch schlechter Geschmack kann manchmal eine gewisse Größe und Bedeutungsvielfalt haben,

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