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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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seufzte Emilia. Im Kundensaal wurde sie von Olga empfangen, die ihr überrascht zulächelte, offenbar erfreut über das Wiedersehen.
    Â»Frau Weltscheva, was für ein Zufall! Ich habe gerade mit meiner Kollegin über ihren letzten Film, Gefundenes Glück , gesprochen.«
    Â» Gefährdetes Glück «, verbesserte sie Emilia, die darin die Rolle einer Mutter gespielt hatte, eine beschämend unwichtige Nebenrolle.
    Olgas perlmuttfarben lackierte Fingernägel tanzten flink über die Computertastatur.
    Â»Ja, Ihr Guthaben bei uns beträgt im Augenblick 41.360,13 Dollar. Beträchtlich, nicht wahr?«
    Â»Beträchtlich, in der Tat«, stimmte Emilia zu, und fuhr beklommen fort, »aber ich …«
    Â»Aber Sie verstehen nicht, wie sich Ihr Geld so schnell vermehren konnte?«, lächelte Olga begütigend. »Das will ich Ihnen gern erklären. Die Zinsen werfen ja ihrerseits Zinsen ab, den Zinseszins.«
    Â»Das wollte ich nicht sagen … Ich wollte mein Geld abheben.«
    Â»Aber natürlich, Frau Weltscheva, das ist Ihr gutes Recht!« Olga strahlte übers ganze Gesicht. Auch hier schwirrten diese dicken, widerwärtigen Fliegen durch den Raum und prallten gegen die Fensterscheiben. »Das können Sie jederzeit tun!«
    Â»Auch jetzt sofort?«
    Â»Kommen Sie einfach an einem Vormittag vorbei, aber … Sie wissen ja, dass Sie dann die Zinsen für das letzte Jahr verlieren, und, da Sie das Geld vor Ablauf abheben, auch noch eine Gebühr von zwei Komma fünf Prozent. Das wäre doch schade! Wenn es Ihnen also nicht ganz eilig ist, warten Sie doch die verbleibenden fünf Monate ab. Ja, hier sehe ich es: Ihr Fälligkeitsdatum ist in genau fünf Monaten und elf Tagen.«
    Â»Nein, so eilig ist es mir nicht.«
    Emilia fühlte sich irgendwie unbehaglich dabei, als eine von den ganz Eiligen zu gelten, eine typisch misstrauische Oma eben, und da es Monatsende war und ihre Rente längst ausgegeben, fühlte sie sich auch noch erbärmlich vor diesem flinken Sonnenschein am Computer. Sie hatte noch nicht einmal mehr zwei, drei Leva für ein Taxi. Sie würde sich also in dieser betäubenden Hitze in einen dieser nach Schweiß, Knoblauch und Turnschuhen stinkenden Omnibusse zwängen müssen, um zurück nach Hause zu kommen. Nach Hause zu den Fliegen, dachte sie angewidert.
    Sie bemühte sich, bis zum Spätherbst nicht mehr an Lucky Strike & Co. zu denken. Was sollte denn schon passieren? Das Geld war schließlich ihres! Sie hatte es sich eigenhändig erarbeitet und konnte damit machen, was sie wollte! Im Oktober wurden die Fliegen weniger, dafür aber groß, laut und nervtötend. Als das lausige Herbstwetter mit Regen und Kälte anfing, gingen einige Bankhäuser in der Provinz in Konkurs. Katja Peteva rief sie nun fast täglich an, um ihr mit kaum verhüllter Boshaftigkeit und in bissigem Ton die betreffenden Nachrichten aus der Zeitung vorzulesen. Bis dahin bewahrte Emilia ja noch die Fassung. Als jedoch mit Donner und Krachen auch die Bank Slawjani Pleite machte, hielten Emilias Nerven es nicht länger aus. Sie wählte die altbekannte Nummer, und die immer feiner, immer weiblicher klingende Stimme Theo Sotirovs meldete sich.
    Â»Ich bin genauso beunruhigt wie du«, sagte er. »Genau genommen hast du mich in der Tür erwischt. Ich wollte mich gerade auf den Weg zu Lucky Strike & Co. machen. Ich ruf dich sofort an, wenn ich zurück bin.«
    Theo rief aber nicht an, so als habe er sich im Herbstnebel aufgelöst. Sein Telefon gab ununterbrochen »besetzt«. Am anderen Tag hielt Emilia es nicht mehr aus. Wieder war Monatsende, wieder hatte sie kein Geld mehr für ein Taxi. Der Morgen war düster und verhangen, ein feiner, deprimierender Dauerregen nieselte herab. Der Omnibus war so vollgestopft, dass sie sich nur mit Mühe noch hineinzwängte. Die Nerven der Leute drinnen lagen blank, es war ein einziges Geschimpfe und Geschubse. Sie wurde gegen einen Obdachlosen ohne Zähne gedrückt, der ein riesiges Bündel Pappe zur Altpapiersammelstelle fuhr. Er stank wie ein Iltis, aber ein verwitweter Iltis! Halb erstickt, erahnte sie mehr, dass sie an der Haltestelle »Universität« angekommen waren, als es sehen zu können, und kämpfte sich unter Aufbietung aller Kraft aus dem öffentlichen Nahverkehrsmittel, das seinem Namen heute nicht nur alle Ehre, sondern auch alle

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