Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
Vom Netzwerk:
Wie sie lügen musste, dachte Emilia, weil dieser kleine Widerling von Theo, in Schlafanzug und Pantoffeln, ihr jetzt sicher vom Sessel aus Zeichen machte mit seinen ewig feuchten Patschhändchen.
    Â»Am Mittag hat ein alter Stubenkamerad aus der Kaserne angerufen, ob sie sich auf ein Glas irgendwo treffen könnten.«
    Hatte der revolutionswichtige Theatermann überhaupt eine Kaserne von innen gesehen?
    Â»Schau an«, rief Emilia mit eisiger Stimme aus, um Margarita zu zeigen, dass sie ihr nicht ein Wort glaubte. »Richtest du ihm bitte aus, er soll mich anrufen?«
    Â»Aber natürlich! Heute Abend habe ich Vorstellung, aber in diesem Matschwetter gehe ich vor sechs Uhr sicher nicht vor die Tür. Wenn du willst, versuch du auch, ihn zu erreichen!«
    Emilia knallte wütend den Hörer auf die Gabel, und postwendend klingelte es. Ihre Hand zuckte zurück wie verbrannt. Sie nickte Dessislava zu, sie solle abheben. Die räkelte sich faul.
    Â»Hallo?« Sie hielt mit dem Handballen die Sprechmuschel zu und flüsterte Emilia verschwörerisch zu: »Mir reicht’s langsam … schon wieder deine tolle Katja Peteva.«
    Emilia machte mit Zeigefinger, Zigarette und Mittelfinger schnelle, abwehrende Bewegungen.
    Â»Sag ihr, ich wäre nicht da, ich wäre beim … Friseur.«
    Â»Sie ist leider noch nicht zurück, Frau Peteva. Ja, ich verstehe, dass es wichtig ist, aber sie ist noch nicht vom Friseur zurück. Zu welchem? Sie geht meist in den Salon am Slawejkov-Platz! Ach, der ist seit einem Jahr geschlossen? Das wusste ich gar nicht. Aber natürlich richte ich ihr aus, dass sie sie … Nein, bis sechs Uhr gehe ich bei diesem Matschwetter auf keinen Fall vor die Tür, und wenn sie dann immer noch nicht da sein sollte, leg ich ihr einen Zettel hin.«
    Dessislava legte auf, streckte die Hand aus, fummelte ihrer Mutter die brennende Zigarette aus den Fingern und zog gierig daran.
    Â»Die anderen wahren wenigstens noch den Anschein von Höflichkeit, aber die Peteva, die ist ja völlig durchgeknallt. Die ist besessen! Die ist auf deinen Skalp aus. Was hast du ihr eigentlich so Schlimmes angetan?«
    Obwohl Emilia sich direkt an den Heizkörper gesetzt hatte, war ihr kalt. Sie hatte die ganze Familie versammelt, um diese über ihren »Fall«, ihre himmelschreiende Blödheit in Kenntnis zu setzen. Jedem einzeln zu erzählen, wie es dahin gekommen war, wohin es gekommen war, hatte sie keine Kraft. Wie sollte sie nur beginnen? Sie rang die Hände vor Unbehagen. Assen saß am Fenster und las in einem Buch, Jordan hatte sich das Skript für die nächste Sieben-Tage -Sendung mitgebracht und studierte es beinahe demonstrativ ernsthaft, nur Dessislava hatte, um sie zu ärgern, wieder nur einen Strumpf an. Mit den letzten Groschen ihrer Pension hatte Emilia eine Flasche Traubenschnaps gekauft, den Dorfomas, die auf der Graf-Ignatiev-Straße ihr Eingemachtes auf Kisten zum Verkauf anboten, ein Glas Sauerkraut abgenommen, und zwei Tafeln billiger bulgarischer Schokolade. Sie wusste, dass sie mit diesem »Menü« als Gastgeberin nicht eben eine Kandidatin für die Kochlöffel und Sterne der Gourmet-Ranglisten war, aber zu mehr reichte es einfach nicht. Sie hoffte aber, es würde ihrer Schande so etwas wie einen »festlichen Rahmen« verleihen. Und nicht nur ihrer! Ohne es zu beabsichtigen oder es sich auch nur im Entferntesten vorstellen zu können, hatte sie weitere zwölf Menschen mit ins Elend gerissen, und diese – angesteckt von dem Zinsrausch, in den Lucky Strike & Co. sie versetzte – sicherlich weitere Gutgläubige.
    Â»Nun leg doch mal dieses verflixte Buch weg«, schimpfte sie Assen aus, der sie überdies immer noch mit seinem nachlässigen Äußeren ärgerte.
    Â»Aber du hast doch bis eben telefoniert!« Assen klappte beleidigt seinen Dostojewskij zu. Er las gerade noch einmal Schuld und Sühne . Dabei fielen ihr wieder seine schönen, langen Nägel auf, die aussahen, als käme er von der Maniküre. Seine Hände hatten sie immer fasziniert mit ihrer Ruhe und Markanz, den langen, kräftigen Fingern, und auch jetzt lenkten sie sie ab. Jordan wartete nicht, bis er dazu aufgefordert wurde, und klappte seine Mappe mit dem Skript zu. Dessislava brachte den Traubenrakija, den Servierteller mit dem Sauerkraut, das sie mit Öl und rotem Paprika angemacht hatte, und dem Schüsselchen mit

Weitere Kostenlose Bücher