Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
Vom Netzwerk:
den Schokoladenstückchen. Sie prosteten sich mit dem Schnaps zu, der vermutlich echten Trauben nur aus der Pipette zugewinkt hatte und aus medizinischem Alkohol, Wasser und Aromaessenzen zusammengemixt war. Die Stimmung im Raum glich der bei einer Beerdigungsnachfeier.
    Â»Du hast doch nicht etwa eine Hauptrolle bekommen?«, versuchte Dessislava, die Beklommenheit zu überwinden.
    Â»Nein, ich wollte euch einfach mitteilen, dass ich ganz schlimm hereingefallen bin und alles verloren habe.«
    Sie traute sich nicht, irgendjemanden bei diesen Worten anzuschauen, sondern starrte angestrengt in die Ecke. Im Stenogrammstil berichtete sie, wie Theo Sotirov ihr von der »guten Nachricht in schlechten Zeiten« vorgeschwärmt und sie bei ihrer Naivität und künstlerisch-weltfremden Unerfahrenheit gepackt habe, und wie sie in blinder Gier den wohlgeschulten Schauspielerinnen des Finanztheaters Lucky Strike & Co. auf den Leim gegangen sei. Sie brachte als mildernden Umstand vor, wie massiv Theo Sotirov auf sie eingeredet habe, doch eine Hypothek auf das Wochenendhaus in Simeonowo aufzunehmen, und wie er sie von der Sparkasse über die Wechselstuben bis in das zum Büro umfunktionierte Plattenbau-Appartement in Ljulin begleitet habe, wo sie ihre eigene Schande unterschrieben habe. Was die Villa anbetraf, so wäre Gott sei Dank auch Assens schriftliches Einverständnis vonnöten gewesen, und diese kleine Formalität und seine Weigerung hätten sich als rettendes Hemmnis erwiesen, die Ehre der Familie vollkommen in den Schmutz zu ziehen.
    Â»Warum hätte ich der Sache auch nicht trauen sollen«, rechtfertigte sie ihr Handeln, »sah man doch reihenweise Leute in kürzester Zeit reich werden. Da dachte ich mir, warum sollte ich nicht auch meine bescheidenen fünfzehntausend Dollar ein bisschen vermehren?«
    Als sie geendet hatte, trat eine Stille ein wie nach einer öffentlich verabreichten schallenden Ohrfeige. Assen und Jordan schauten betreten auf ihre Schuhe, Dessislava auf ihren am Boden sich ringelnden Strumpf.
    Â»Und ich wollte schon bei dir betteln kommen, ob du mir nicht einen neuen Mantel spendieren könntest«, sagte sie schließlich.
    Alle mussten unwillkürlich lachen, anfangs verhalten und beklommen, dann immer lauter und rückhaltloser. Ein Außenstehender hätte den Eindruck haben können, hier werde etwas gefeiert, ein Lottogewinn oder dergleichen.
    Â»Die Sache ist in der Tat fies«, sagte Dessislava schließlich, »weil du nicht unter Zwang unterschrieben hast, sondern vollkommen freiwillig.«
    Â»Für uns Normalsterbliche fällt das Geld nicht einfach so vom Himmel, Mama«, meldete sich Jordan, der Emilia wirklich nur in ganz extremen, dramatischen Fällen mit »Mama« anredete, schon gar nicht in Anwesenheit Dritter.
    Â»Du fühlst dich erniedrigt und beleidigt, hm?«, fragte Assen voller Mitleid. Diese seine edle Einfalt und stille Größe hatten sie schon immer auf die Palme gebracht, solange sie zusammenlebten.
    Â»Beleidigt und beraubt«, entgegnete sie. »Es mag für andere nicht viel sein, was ich da verloren habe, aber ich messe im Moment alles an meiner Rente, und da waren es geschlagene fünfzehn Jahre Altersversorgung, die ich blöde Kuh da in den Wind geschossen habe. Aber die werden sich wundern, die zerre ich vor Gericht.«
    Â»Tu das nicht«, riet ihr Jordan mit leiser Stimme ab.
    Â»Und wenn ich die aus der Erde ausbuddeln muss, ich verklage diese Leute, und wenn es nur wegen der anderen ist, die ich mit ins Verderben gerissen habe … zwölf Schauspielerkolleginnen und -kollegen!«
    Â»Ist dir auch klar, was das für ein Nervenkrieg wird?«, versuchte Dessislava, sie zur Besinnung zu bringen.
    Â»Und was dich das noch zusätzlich kosten wird?«, ergänzte Jordan.
    Â»Ich werde das Geld schon auftreiben«, erwiderte Emilia wütend. »Ich kann fürs Erste meine Spangen und Uhren und dieses ganze Antiquitätenzeugs verkaufen, das ich angesammelt habe, die Gemälde … wenn es sein muss, auch meine Seele!« Ihre Worte klangen pathetisch wie die eines antiken Rhetors, der zur Zerstörung Karthagos aufrief. »Wenn schon nichts anderes, so muss es in diesem Leben doch wenigstens Gerechtigkeit geben, ein bisschen lumpige Gerechtigkeit!«
3
    Schon am folgenden Tag meldete Emilia sich bei Viktoria Simeonova, von der sie wusste, dass sie nicht nur

Weitere Kostenlose Bücher