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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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einen nüchternen Blick fürs Praktische hatte, sondern auch mit allen Wassern gewaschen war und unzählige Kontakte hatte. Sie hatten sich seit Jahren nicht mehr gesehen, genauer gesagt, seit jenem Tag, an dem sie gemeinsam auf den Battenberg-Platz zwischen Schloss und dem damals noch stehenden Dimitrov-Mausoleum gegangen waren, um das Parteigebäude brennen zu sehen, aber erst ankamen, als der Brand schon gelöscht war.
    Sie hatten die Bilder im Fernsehen gesehen. Aus einigen Fenstern schlugen Flammen, aus anderen quoll schwarzer Rauch, aber das geschmacklose steinerne Ungetüm sah trotzdem völlig unbeeindruckt aus wie die Macht, die darinnen Jahrzehnte geschaltet und gewaltet hatte. Nur unten sah man Gespenstern gleich Menschen hinauslaufen, zumeist Männer, die ihren Hass und ihre Verachtung auf die angetastete Unerschütterlichkeit auf vollkommen irrationale und abstoßende Weise zum Ausdruck brachten, indem sie einfach klauten. Der eine ließ einen Fernseher mitgehen, der andere eine Schreibmaschine oder ein Möbelstück, ein Zwei-Meter-Hüne hievte sogar eine Schuhputzmaschine hinaus, was so absurd erschien, dass es schon wieder bedrohlich war. Dieser Versuch, die Macht der Partei auszuräuchern, flößte den Menschen aber keine Zivilcourage und keine Hoffnung ein, sondern nur neue Angst.
    Sie trafen sich im Café am Slawejkov-Platz gegenüber der Zentralbibliothek. Das war einer dieser neuen In-Schuppen, in der Einrichtung derart aufdringlich auf Luxus getrimmt, dass man sich nicht wohlfühlte, sondern ausgesetzt. Die Sitzgelegenheiten waren im bunten Leder-Patchwork-Look, die Spiegel von Buntglascollagen umgeben. Die Bedienung hatte ihr Haar neonrosa gefärbt, ihre manikürten Fingernägel lila; ihr Lächeln war säuerlich, die Naht ihrer Seidenstrümpfe transponierte die Idee der Lampasse ins Erotische. In dieser aufgetakelten Umgebung konnten Viktoria und sie nur den Eindruck von alten Mamis erwecken, die mehr Erinnerungen im Kopf als Geld in der Handtasche hatten und sich den billigsten Kaffee bestellen würden, nur um bis Mittag im Warmen sitzen zu können. Die Bedienung erkannte Emilia nicht, oder tat wenigstens so. Die Erniedrigung durch das Diktat des Ideologischen, an die sie sich gewöhnt hatten, war ersetzt worden durch das Diktat der Statussymbole, die vorführen musste, wer etwas gelten wollte. Emilia überlegte noch, ob sie der Bedienung aus Rache gar kein Trinkgeld geben oder ob sie ihre letzten Kröten zusammenklauben und dieser eingebildeten Zicke ein demonstrativ hohes Trinkgeld vor den Latz knallen sollte. Aber erkannte man die Armen und Elenden nicht genau daran, dass sie mit solch ruinösen Gesten um ihr bisschen Würde kämpften?
    Als Schriftstellergattin und Leserin konnte Viktoria nicht anders als im Tone kultureller Überlegenheit zu sagen: »Ich hab ja nichts dagegen, dass die alten Eigentümer ihren Besitz wiederbekommen, aber warum müssen dafür ausgerechnet die schönen alten Buchhandlungen dran glauben?«
    In der Tat hatte sich dieses Messing-Buntglas-Café in den Räumen einer ehemals angesehenen Buchhandlung niedergelassen, in der auf den Regalen linientreue Sowjetliteratur verstaubte, unter dem Ladentisch aber an gute Kunden, also solche, die im Gegenzug dem Buchhändler besorgen konnten, was schwer zu bekommen war, amerikanische und westeuropäische Romane verkauft wurden und die einzige bulgarische Zeitschrift für West-Literatur. Junge Garde hatte der Literaturtempel einst geheißen; jetzt hatte die junge Garde tatsächlich Einzug gehalten und den Schriftzug über dem Eingang durch bunte Leuchtröhren ersetzt, die den Geist der neuen Zeit auf zwei Worte brachten: »Las Vegas«. Was für eine Ironie der Geschichte, dachte Emilia, dass die Menschen sich frei fühlen, nur weil sie sich jetzt freiwillig einer anderen Großmacht unterwerfen dürfen.
    Â»Und du? Hast du bei der Restitution nichts zurückbekommen? Dein Vater hatte doch …«
    Â»Nein, uns ist ja von den alten Fanatikern nichts weggenommen worden. Mein Vater hat ja damals gleich nach der Machtergreifung der Roten vor Angst Himmel und Erde in Bewegung gesetzt, um unser Land bei Warna zu verkaufen. Für Leute wie uns waren das lebensgefährliche Zeiten! Und wie sieht’s bei dir aus?«
    Â»Wie soll es schon aussehen? Ich hatte doch nichts, von der Grabstelle meiner Eltern in Pernik

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