Seelenasche

mal abgesehen, und auch die hab ich zehn Jahre lang in Raten abbezahlt. Sicher liegt da schon jemand ganz anderes. Du weißt ja, wie das war: Wer denkt an Gräber, Tote und Vergangenheit, wenn du alle Hände voll zu tun hast mit dem Aufbau der strahlenden Zukunft!«
    Â»Du bist aber gallig geworden«, bemerkte Viktoria nicht ohne Genugtuung.
    Â»Ja, aus dem Verkehr gezogen und gallig, stimmt.«
    Die Bedienung knallte ihnen die beiden Kaffee hin. Für so wenig Rechnung konnten die alten Schrapnelle nicht mehr Freundlichkeit erwarten. Da fiel auf einmal die Sonne herein und erweckte die Buntglasbilder zum Leben. Dann sagte Viktoria scheinbar ohne Zusammenhang:
    Â»Hak die Sache ab, zum Teufel damit! War ja schließlich kein Menschenleben!«
    Â»Wovon redest du?«
    Â»Na, von deinen verlorenen Dollars. Du machst dir nur die Nerven kaputt und verlierst noch mehr Geld.«
    Â»Jordan hat mir dasselbe gesagt, aber sieh dir die Leute doch mal an: Auf den Demonstrationen schreien sie nach Freiheit, aber was tun sie? Lassen sich ohne Widerstand abmelken wie Milchvieh! Einer muss doch mal aufstehen und ein Zeichen setzen.«
    Â»Du warst halt einfach naiv, meine Liebe.«
    Â»Blöd war ich, blöd, gierig und … ängstlich, wie dein Vater.« Sie trank von ihrem Kaffee. Gut war der. »Ich find das Gefühl schrecklich, langsam zu verelenden.«
    Â»Ist es auch. Genauso wie das Gefühl, alt zu werden.«
    Â»Was ist denn aus dem Film geworden, für das Peter das Drehbuch …«
    Â»Gestorben, die Sache. Angeblich kein Geld da.«
    Â»Ja, für Kino und Theater ist kein Geld da, aber für Cocktails und Empfänge unserer Politiker und Neureichen – immer. Hast du schon gehört? Der Chef der First Private Bank hat den alten Waggon, in dem der Zar früher befördert worden ist, aus dem Museum geholt und alles, was Geld und Einfluss hat, darin auf Vergnügungsfahrt in die alte Zarenresidenz am Meer eingeladen. So was gibt es auch nur in Bulgarien!«
    Â»Oh, in Russland auch, meine Liebe!«
    Â»Es muss doch irgendjemand aufstehen und zeigen, dass er sich nicht alles gefallen lässt!«
    Auf einmal wurde Emilia bewusst, dass sie aus purer Gewohnheit jammerten und klagten. Im Sozialismus war dieses unzufriedene Andeuten von Ungerechtigkeiten Routine gewesen, nicht nur, um zu zeigen, dass »man dagegen war«, sondern auch als Rechtfertigung und Entschuldigung, dass man nichts gegen die Zustände unternahm. So war mit der Zeit das Murren und Meckern gegen das Regime pervertiert zum sicheren Zeichen, dass man dessen braver Untertan war. Wo sollten in einer moralisch so aufgeweichten Atmosphäre, in der der Protest sich in der Beschreibung beklagenswerter Einzelheiten und Einzelfälle erschöpfte, Dissidenten herkommen?
    Â»Und wieso muss er oder sie das?«, blieb Viktoria ungerührt.
    Â»Weil ich in meiner naiven Blödheit nicht nur mich selbst, sondern auch noch ein Dutzend Kollegen reingerissen habe. Ich kann morgens schon nicht mehr in den Spiegel schauen, so schäme ich mich. Kannst du mir nicht irgendwie helfen? Du kennst doch Jan und Allemann!«
    Sie drehte ihre leere Tasse um, als bestünde darin die Hilfe, aus dem Kaffeesatz die Zukunft zu lesen. Emilia folgte ihrem Beispiel.
    Â»Ich denke da an Alexander Weltschev. Der ist inzwischen auch emeritiert und macht nun wieder auf Rechtsanwalt.« Sie lachte, aber ohne Vergnügen. »Seit er Ljuba verlassen hat, muss er sich ja irgendetwas die Kröten für die Miete verdienen. Aber … nein, der ist nicht geeignet für deinen Fall, der ist noch viel zu akademisch und nicht tough genug für so eine aussichtslose Verteidigung.«
    Â»Aussichtslos? Was Lucky Strike da gemacht haben, war doch letztlich Betrug, und irgendwo gibt es schließlich auch noch Gesetze …«
    Â»Gesetze?«, starrte Viktoria sie aus großen, ironischen Augen an. »Ja, wo lebst du denn? Die ganze Justiz ist für unsere Politiker und Neureichen doch längst ein großes Jagdrevier, das sie unter sich aufgeteilt haben. Wer am meisten zahlt, bekommt recht.«
    Â»Und was mache ich nun?«
    Â»Es gibt einen ganz abgefeimten Burschen, der war mal Praktikant bei meinem Vater. Ein Fuchs ist das. Aber pass auf, dass er dir nicht die Haut bei lebendigem Leib abzieht!«
    Sie drehte Emilias Tasse um, vertiefte sich in den Kaffeesatz auf deren Grund und fragte dann in gespieltem