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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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Korridoren des Fernsehens völlig verlorengegangen.
    Â»Willst du damit andeuten, dass ich mit meinen zweiundsechzig eine alte Dame bin, für die es sich nicht mehr lohnt?«
    Jordan versuchte, seinen Fauxpas auszubügeln. »Ich will damit andeuten, dass mein Vater über siebzig ist.«
    Â»Und dass wir zum Gespött der Leute werden?«
    Â»Er braucht dich, Emilia.«
    Â»Da täuschst du dich aber sehr, mein Junge. Ich hätte ihn gebraucht all die Jahre, aber das ist ein anderes Thema. Es geht nicht um dieses konventionelle ›Wir lieben uns nicht mehr‹; nein, das zwischen uns ist viel vertrackter. Ich will es mal ›schicksalhafte Verbundenheit‹ nennen, oder von mir aus ›Macht der Gewohnheit‹.« Sie drehte den Kopf zur Seite, um ihre Tränen zu verbergen. »In diesem Leben gibt es periodische, aber auch mörderisch hartnäckige Gewohnheiten. Gott, ich frage mich, was ich ohne deinen Vater machen werde. Ich bin fix und fertig, Jordan, und unglücklich wie ein verwaistes Kind.«
    Â»Warum tust du es dann? Du willst die Scheidung doch?«
    Sie überlegte. Um Zeit zu gewinnen, holte sie einen Handspiegel und einen karminroten Lippenstift aus ihrer Handtasche. Ihre Lippen glichen danach einer frischen Wunde.
    Â»In letzter Zeit ist mir aufgefallen, dass dein Vater sich in meiner Gegenwart langweilt«, sagte Emilia leise. »Sogar wenn ich fort bin, fehle ich ihm nicht. Da wurde mir auf einmal klar, dass das schon immer so war, von Anfang an. Mein Stolz ist verletzt, Jordan, meine Würde, ich kann es nicht anders erklären.«
    Â»Entschuldige, aber ich verstehe gar nichts. Wenn zwei Menschen zusammenleben, dann werden sie einander halt über – langsam, aber sicher. Dieser Überdruss, der sich anhäuft wie Staub, mag vielleicht Hustenreiz auslösen, aber – und das sag ich nicht aus Erfahrung, sondern ich vermute es – es verbindet auch, vielleicht sogar nur das … Wenn du mir jetzt erzählen willst, dass es für dich mit meinem Vater früher superinteressant war, dann glaub ich dir kein Wort. Vater ist ein verschlossener Typ, den du kaum aus seinem Arbeitszimmer rauskriegst, während du es nie lange in der Wohnung aushältst. Wenn ich zurückdenke, warst du mehr mit deinen Freundinnen zusammen als mit Vater, und es schien dir ganz recht so zu sein …«
    Sie ließ seine Hand los und betrachtete ihn mit fast animalischem Schmerz. Ihr Ausdruck war nun so aufrichtig wie der eines ausgesetzten Hundes, der sein Herrchen nicht findet. An diesem Abend spielte Emilia vielleicht zum allerersten Mal keine Rolle, nicht einmal die der Frau, als die sie sich selbst sah. Jordan wollte sie noch einmal tröstend mit »Mama« anreden, aber sie war schneller.
    Â»Du wirst es nicht verstehen, aber ich versuch’s dir trotzdem zu erklären: Dein Vater ist der einzige Mensch, der alles von mir weiß! «
    Â»So viel Intimität ist wirklich schwindelerregend, Mama«, erwiderte er, aber Emilia beachtete seine Worte nicht. Sie war buchstäblich von der Rolle , und es schien unmöglich, sie zurückzuholen. Sie war weg. Vor ihm saß in all ihrem Kummer eine andere, unbekannte Frau.
    Â»Eine Menge Leute erinnern sich daran, wo ich als Schauspielerin versagt habe – aber das interessiert mich nicht«, sagte sie und zog so heftig an ihrer Zigarette, dass man automatisch dachte, das Gegenteil müsse wahr sein. »Was ich aber nicht ertragen kann, ist, dass dein Vater alles von mir weiß. Hab versucht, mich selbst zu belügen, dann alles getan, um die anderen zu täuschen, die vom Theater zunächst, dann das Publikum, und mir kam es so vor, ich hätte endlos Zeit – das Leben lag ja vor mir. Assen hat alles getan, um mich zu unterstützen, und ich beschuldige ihn, dass er sich mir nie in den Weg gestellt hat! Ein bisschen klischeehaft, aber unzweideutig gesagt: So viel erhabene Noblesse war mehr, als ich verkraften konnte.«
    Â»Erhabene Noblesse«, echote Jordan, doch es gelang ihm nicht, genug Ironie in seine Stimme zu legen.
    Â»Dein Vater ist der authentischste Mensch, den ich je getroffen habe. Er war immer ein und derselbe, hat ein Leben lang nur sich selbst gespielt, und das hat mich einfach fertiggemacht. Er ist geradlinig, lässt nichts Angefangenes liegen – bei ihm kommen Wort und Tat vollkommen zur Deckung! Und nun sage mir bitte: Kann man mit jemandem

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