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Seelenasche

Titel: Seelenasche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Zarev
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junge Mann sie schließlich im Vorzimmer Toschevs Chefsekretärin übergab. Es war noch immer die distinguierte ältere Dame, die seine Mutter hätte sein können. Wie schon beim ersten Mal empfing sie Daniela und Jordan freundlich, aber distanziert, bat die beiden, auf der Ledergarnitur Platz zu nehmen, trug einer Sekretariatsgehilfin auf, den beiden Kaffee zu servieren, kehrte an ihren Arbeitsplatz zurück und … vergaß sie. Als sie mit Jordans »neuem« Wagen, einem alten VW Golf, hergefahren waren, hatte Jordan zu Dida gesagt:
    Â»Der Sponsorenvertrag läuft doch erst in sechs Wochen aus, Toschev aber bestellt uns schon heute zu sich. Ich hab kein gutes Gefühl.«
    Â»Und ich hab helle Kreise geträumt. Als ich mal im Kindergarten so bunte Kreise geträumt habe, hat mein Vater mir kurz darauf ein Fahrrad geschenkt.« Dida hatte glücklich gekichert, den Arm ausgestreckt und Jordan im Nacken gestreichelt.
    Nach zwanzig Minuten Warten erinnerte sich die Chefsekretärin an sie: »Wenn Sie wollen, dürfen Sie ruhig rauchen.« Sie wartete die Reaktion der Angesprochenen nicht ab, sondern stand auf, stellte die Klimaanlage höher und vertiefte sich wieder in den Bildschirm vor sich. Schließlich meldete sich jemand über die Haustelefonanlage bei ihr. Sie bestätigte dem Anrufer mehrmals etwas mit »ja«, »aber natürlich, seien Sie unbesorgt«, »ja, selbstverständlich«, dann stand sie formvollendet auf, wies mit der Hand in Richtung Chefbüro und sagte:
    Â»Bitte sehr, Herr Weltschev. Und Sie, mein Fräulein, möchte ich ersuchen, hier zu warten.«
    Jordan und Daniela schauten sich an. Es sah nicht so aus, als ob die hellen Kreise, von denen sie geträumt hatte, hier weiterhalfen.
    Toschevs Arbeitszimmer war riesig, ein Eindruck, der noch verstärkt wurde durch die spärliche Möblierung: Konferenztisch und Stühle, Sitzecke mit Ledergarnitur, Schreibtisch. An den Wänden jedoch hingen wunderbare Gemälde der Meister der klassischen Moderne Bulgariens: Vladimir Dimitrov, Zanko Lawrenov, Slatju Bojadshiev. Und auf einem hübschen, mit Samt bezogenen Podium hatte er einige Stücke seiner berühmten Antikensammlung postiert: Vasen und Schalen mit braunen Figuren auf schwarzem Grund, thrakische Bronzegefäße und silberne Trinkgefäße mit Auslaufspund, feine Statuetten antiker Dramatiker und Philosophen sowie unschätzbare Grabbeigaben thrakischer Könige.
    Die Luft im Raum schien regelrecht böse zu sein, so elektrisch geladen war sie. Es roch nach schweren Zigarren und starkem Kaffee. Jordan kombinierte: Hier hatte offenbar eine Sitzung stattgefunden. Als er sah, wie weit hinten, am anderen Ende des Büros, Männer in offiziellen Anzügen sich durch eine zweite Tür hinausschlängelten, war er sich ganz sicher. Toschev wirkte müde, regelrecht ausgelaugt. Sein Lächeln war melancholisch und nicht sonderlich vielversprechend. Er war frisch rasiert und kahlgeschoren, und diese peinliche Sauberkeit und übertriebene Hygiene verlieh ihm etwas Grausames. Jordan vermutete, dass nicht etwa Glatzköpfigkeit der Grund dafür war, dass sich der Geschäftsmagnat das Haupthaar vom kantigen Schädel schor, sondern übergroße Anspannung und eine spürbare innere Besessenheit, die ihn zerfraß. Nun schaute er auf seine Armbanduhr mit einer Miene, als wolle er Jordan wortlos andeuten, dass er nur ganz wenig Zeit habe, und bat ihn, auf dem Ledersessel ihm gegenüber Platz zu nehmen. Dann rückte er seinen Krawattenknoten zurecht und fixierte ihn mit seinen starren, dunklen Augen.
    Â»Bitte entschuldigen Sie mich für die Verspätung«, begann Toschev apathisch, »aber das, was sich hier vor kurzem abgespielt hat, war höchst lehrreich und wichtig für mich. Ach, haben Sie schon einen Kaffee bekommen?«
    Â»Ja.« Jordan wurde das Gefühl nicht los, dass hier gleich eine Welt einstürzte; trotzdem oder gerade deshalb beschloss er, die Frage zu riskieren: »Warum hat Ihre Sekretärin meine Mitarbeiterin, Fräulein Dionissieva, gebeten, draußen zu warten?«
    Â»Das war eine Anweisung von mir, wir müssen uns beeilen«, erwiderte Toschev und strich sich über den Schädel. Dann entzündete er seine ausgegangene Zigarre und fuhr mit zerstreut-gelangweilter Stimme fort: »Ich werde den Vertrag mit Ihnen zum Sponsoring Ihrer geschätzten

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