Seelenasche
redlich, sie umzuschreiben.«
»Was heiÃt hier âºnicht redlichâ¹? Der Wahrheit gegenüber oder der Vergangenheit, deinem Leben und den Ideen, an die du geglaubt hast?«
»Wahrheit ⦠was ist das schon?«, seufzte er melancholisch. »Nein, es ist nicht redlich, jetzt, wo es nichts kostet, mich vor den Lesern besser darzustellen, als ich war.«
Dessislava warf ihren Regenmantel über eine Lehne, ging zu ihm und küsste ihn auf die Stirn.
»Ich war auf dem Friedhof, am Grab von Mama und von Tante Ljuba, und bin traurig. Sollen wir ein Glas zusammen trinken?«
Sie hatten inzwischen eine ganze Batterie Whisky im Haus, seit ihr Vetter Christo regelmäÃig eine Flasche mitbrachte, wenn er sie besuchen kam. Meist waren sie allein, seit Jordan mit Dida zusammen war und Jana studierte, und dann genossen sie das ruhige Gespräch bei einem guten Glas. Assen nickte dankbar über den Vorschlag seiner Tochter. Die ging zum Kühlschrank, holte Eiswürfel und goss ein. Lächelnd stieÃen sie an.
»Und dir, fehlt dir Mama eigentlich?«, fragte sie unerwartet.
»Sie fehlt mir schrecklich. Ich kann einfach nicht vergessen, auf welch erniedrigende Weise sie aus dem Leben geschieden ist.«
»Warum hast du sie eigentlich nicht zurückgehalten? Nur du hättest sie zur Besinnung bringen können.«
Assen antwortete nicht gleich, sondern schien sich erst mit dem Licht zu beraten, das die Dämmerung ins Zimmer sandte, und mit seiner faltigen Altersschwäche.
»Deine Mutter hat in ihrer Bühnenlaufbahn immer alles gegeben; aber dabei ist ihr nur einmal etwas wirklich GroÃes geglückt, und das war die Rolle der Mutter Courage. Kannst du dich noch erinnern?«
»Ja, im Volkstheater«, antwortete Dessislava überrascht.
»Wenn Emilia an dieser Rolle gescheitert wäre, dann hätte sie â da bin ich mir sicher â niemals gegen diesen Finanzhai prozessiert. Als ihr eines Tages die Bühne genommen wurde, da wollte sie auf dem juristischen Theater weiter an ihrer gröÃten Rolle feilen. Sie brauchte das einfach, sie hatte ein tiefes Bedürfnis, sich für eine gerechte Sache zu opfern. Ich habe es nicht übers Herz gebracht, sie aufzuhalten, und â ich hatte auch nicht das Recht dazu.«
»Und du glaubst, sie hat deshalb â¦Â«
»Ich glaube nicht nur, ich bin mir da ganz sicher.«
»Ich möchte dich noch was ganz Widerliches fragen. Aber bitte, Papa, antworte mir ganz ehrlich: Hast du Mama eigentlich geliebt?«
Assen fuhr zusammen, trank einen Schluck, schaute zum Fenster hinaus. Im Gegenlicht war so recht zu erkennen, wie alt er geworden war. Seine tiefblauen Weltschev-Augen hatten nun das Grau von Gusseisen angenommen und wirkten genauso zerbrechlich.
»WeiÃt du, ich hatte gerade Vera verloren, Jordans Mutter, als Emilia plötzlich auftauchte. Sie war blutjung und ⦠wie soll ich mich ausdrücken â¦Â«
»Bildschön?«
»Das auch, aber das meine ich nicht. Emilia war damals ein einziges Staunen. Sie war verwundert über alles, über das Leben, über sich, über mich. Alles kam ihr unendlich und wundervoll vor. Ich war wie berauscht davon, und es bereitete mir Vergnügen, mit ihr zusammen zu sein und am Fest ihres Staunens teilzuhaben. Dabei entwickelte sich eine tiefe Anhänglichkeit, Wertschätzung, Gefühle der Freundschaft ⦠Ja, ich denke, ich habe sie geliebt.«
»Und ⦠hast du dich mal in eine andere Frau verliebt?«
»Solche Fragen stellt man seinen Eltern nicht«, hüstelte Assen vor Unbehagen. »Aber ich will dir trotzdem etwas anvertrauen, was mich immer noch mit Bitterkeit und Pein erfüllt: dass ich keine von ihnen glücklich machen konnte.«
»Warum sprichst du im Plural?«
Er sank in sich zusammen, als habe man ihn bei etwas Unanständigem ertappt. Dessislava wusste nicht, ob sie lachen oder gerührt sein sollte über so viel späte Schüchternheit. Ihr Vater genehmigte sich noch einen Schluck, steckte sich eine Zigarette an und schaute dann verschämt auf seine Pantoffeln.
»Ich meine natürlich Vera und deine Mutter«, sagte er, aber seine Stimme zitterte allzu verräterisch.
»Ich bin heute auf dem Friedhof zufällig auch am Familiengrab von Onkel Goscho und den Toromanovs vorbeigegangen«, arbeitete sich Dessislava voran, spürte aber, dass sie ihrem kleinen Verhör
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